Die Seele des Königs (German Edition)
Veränderung hervorbringt, die so unnatürlich ist, dass sie nicht stabil sein kann. Ich bezweifle, dass auch nur einer von ihnen länger als eine Minute Bestand haben wird – und selbst das nur unter der Voraussetzung, dass ich sie völlig korrekt hergestellt habe.«
Gaotona zögerte zunächst, dann nickte er.
» Die Seele eines Menschen unterscheidet sich von der eines Gegenstandes«, fuhr Shai fort. » Ein Mensch wächst andauernd; er verändert sich. Das führt dazu, dass ein Seelenstempel, der bei einem Menschen benutzt wird, sich auf eine Art und Weise abnutzt, wie es bei Gegenständen nicht vorkommt. Selbst im günstigsten Fall hält ein Seelenstempel bei einem Menschen nur einen Tag. Meine Wesenspräger sind ein gutes Beispiel dafür. Nach ungefähr sechsundzwanzig Stunden verblassen sie.«
» Und … der Kaiser …?«
» Wenn ich meine Arbeit gut mache«, sagte Shai, » muss er jeden Morgen gestempelt werden, so wie der Blutsiegler jeden Tag meine Tür stempelt. Allerdings werde ich in das Siegel die Möglichkeit der Erinnerung, des Wachsens und des Lernens einarbeiten. Er wird also nicht jeden Morgen in den vorigen Zustand zurückkehren, sondern er wird auf dem aufbauen können, was ich ihm mitgebe. Doch so, wie ein menschlicher Körper müde wird und Schlaf braucht, muss auch ein Seelenstempel erneuert werden. Glücklicherweise kann das Stempeln jeder Beliebige übernehmen – sogar Ashravan selbst –, solange der Stempel auf die richtige Weise hergestellt ist.«
Sie gab Gaotona den Stempel, den sie in der Hand gehalten hatte, damit er ihn untersuchen konnte.
» Jeder der Stempel, die ich heute benutzen werde«, fuhr sie fort, » wird eine Kleinigkeit in Eurer Vergangenheit oder Eurer innersten Persönlichkeit verändern. Da Ihr nicht Ashravan seid, werden die Veränderungen nicht anhalten. Aber Ihr beide seid Euch in Eurer Geschichte ähnlich genug, sodass die Siegel für kurze Zeit halten sollten, wenn ich sie gut gemacht habe.«
» Du meinst damit, dass das hier ein Muster für die Seele des Kaisers ist?«, fragte Gaotona und betrachtete den Stempel von allen Seiten.
» Nein, nur die Fälschung eines kleinen Teils von ihr. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das Endprodukt funktionieren wird. Soweit ich weiß, hat noch nie jemand so etwas versucht. Aber es existieren Berichte von Menschen, die die Seele eines anderen zu … schändlichen Zwecken gefälscht haben. Aus ihren Erfahrungen schöpfe ich. Wenn diese Siegel mindestens eine Minute bei Euch wirken, sollten sie beim Kaiser viel länger Bestand haben, denn sie sind auf seine besondere Vergangenheit eingestellt.«
» Ein kleines Stück seiner Seele«, sagte Gaotona und gab ihr das Siegel zurück. » Was diese Tests angeht … das hier sind nicht die endgültigen Siegel?«
» Nein, aber ich werde diejenigen, die sich als funktionstüchtig herausstellen, in ein größeres Muster einarbeiten. Stellt Euch diese Siegel als einzelne Buchstaben in einer langen Schriftrolle vor. Wenn ich fertig bin, kann ich sie zusammensetzen, und sie werden eine Geschichte erzählen – über die Herkunft und die Persönlichkeit eines bestimmten Menschen. Doch selbst wenn die Fälschung hält, wird es leider kleine Unterschiede geben. Ich schlage daher vor, dass Ihr allmählich Gerüchte über die Verwundung des Kaisers ausstreut. Sagt nichts über das ganze Ausmaß der Verletzungen, sondern deutet einen schweren Schlag gegen den Kopf an. Das wird mögliche Abweichungen in seinem Verhalten erklären.«
» Es laufen bereits Gerüchte über seinen Tod um«, sagte Gaotona. » Die Fraktion des Ruhmes verbreitet sie.«
» Dann müsst Ihr eben andeuten, dass er nur verletzt wurde.«
» Aber …«
Shai hob den Stempel an. » Selbst wenn mir das Unmögliche gelingen sollte – was mir bisher nur sehr selten gelungen ist, wie ich betonen muss –, wird die Fälschung nicht alle Erinnerungen des Kaisers beinhalten. Ich kann nur das einarbeiten, was ich gelesen habe oder was ich vermute. Ashravan wird viele private Gespräche geführt haben, welche die Fälschung nicht wiedergeben kann. Ich kann ihn mit der Fähigkeit ausstatten, anderen etwas vorzuschwindeln – darin bin ich besonders gut –, aber auch das wird ihn nur bis zu einer gewissen Grenze bringen. Irgendwann wird jemand bemerken, dass er große Erinnerungslücken hat. Streut die Gerüchte aus, Gaotona. Ihr werdet sie eines Tages brauchen.«
Er nickte, rollte den Ärmel hoch und hielt ihr den Arm
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