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Die Seele des Königs (German Edition)

Die Seele des Königs (German Edition)

Titel: Die Seele des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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entgegen. Sie hob den Stempel. Gaotona seufzte, kniff die Augen zu und nickte noch einmal.
    Sie drückte den Stein gegen seine Haut. Wie immer, wenn der Stempel die bloße Haut berührte, fühlte es sich an, als würde Shai gegen etwas sehr Festes pressen – als ob sein Arm zu Stein geworden wäre. Der Stempel sank ein klein wenig ein. Es war stets ein befremdliches Gefühl, wenn sie an einem Menschen arbeitete. Sie drehte den Stempel, zog ihn zurück und hinterließ ein rotes Siegel auf Gaotonas Arm. Dann nahm sie ihre Taschenuhr heraus und beobachtete die vorwärts schreitenden Zeiger.
    Das Siegel gab schwache Schwaden aus rotem Rauch von sich; dies geschah nur, wenn lebendige Dinge gestempelt wurden. Die Seele kämpfte dagegen, neu beschrieben zu werden. Aber das Siegel verschwand nicht sofort wieder. Shai hielt den Atem an. Das war ein gutes Zeichen.
    Sie fragte sich … ob die Seele des Kaisers gegen die Eindringung kämpfen würde, wenn Shai es bei ihm versuchte. Oder würde sie den Stempel einfach hinnehmen und wünschen, dass das, was falsch geworden war, wieder berichtigt wurde? So wie dieses Fenster zu seiner früheren Pracht hatte zurückkehren wollen? Sie wusste es nicht.
    Gaotona öffnete die Augen. » Hat es … funktioniert?«
    » Es hat erst einmal gehalten«, sagte Shai.
    » Ich fühle mich nicht anders als vorher.«
    » Genau darum geht es. Wenn der Kaiser die Auswirkungen des Stempels spüren könnte, würde er erkennen, dass etwas nicht stimmt. Und jetzt beantwortet meine Fragen, ohne erst darüber nachzudenken. Redet nur aus Eurem Instinkt heraus. Was ist Eure Lieblingsfarbe?«
    » Grün«, sagte er sofort.
    » Warum?«
    » Weil …« Er verstummte und hielt den Kopf schräg. » Weil das so ist.«
    » Und Euer Bruder?«
    » Ich kann mich kaum an ihn erinnern«, meinte Gaotona mit einem Schulterzucken. » Er ist gestorben, als ich noch sehr jung war.«
    » Es ist gut so«, sagte Shai. » Er hätte einen schrecklichen Kaiser abgegeben, wenn er gewählt …«
    Gaotona stand auf. » Wage es nicht, schlecht über ihn zu reden! Ich werde dich …« Er versteifte sich, warf einen Blick hinüber zu Tzu, der beunruhigt die Hand auf sein Schwert gelegt hatte. » Ich … Bruder …?«
    Das Siegel verblasste.
    » Eine Minute und fünfzig Sekunden«, sagte Shai. » Das sieht gut aus.«
    Gaotona hielt sich die Hand an den Kopf. » Ich kann mich daran erinnern, einen Bruder gehabt zu haben. Aber … ich habe keinen, und ich hatte nie einen. Ich kann mich erinnern, wie ich ihn vergöttert habe, und ich kann mich an den Schmerz erinnern, als er gestorben ist. So viel Schmerz …«
    » Das wird vergehen«, sagte Shai. » Die Eindrücke werden verschwinden wie die Überreste eines schlimmen Traums. In einer Stunde werdet Ihr kaum mehr wissen, was Euch so aufgeregt hat.« Sie schrieb einige Notizen nieder. » Ich glaube, Ihr habt zu stark reagiert, als ich Euren Bruder beleidigt habe. Ashravan hat seinen Bruder angebetet, aber er hat seine Gefühle stets verborgen, weil er befürchtete, sein Bruder wäre ein besserer Kaiser gewesen als er selbst.«
    » Was? Bist du dir dessen sicher?«
    » Ja«, meinte Shai. » Ich muss den Stempel noch ein wenig verändern, aber ich glaube, im Grundsatz ist er richtig.«
    Gaotona lehnte sich wieder zurück und betrachtete sie mit seinen alten Augen, die sie zu durchbohren und tief in ihr Innerstes einzudringen schienen. » Du weißt eine Menge über die Menschen.«
    » Das ist eine der frühesten Stufen unserer Ausbildung«, erklärte Shai. » Das lernen wir, noch bevor wir einen Seelenstein auch nur berühren dürfen.«
    » Was für ein Potenzial …«, flüsterte Gaotona.
    Shai bezwang ein plötzlich aufkochendes Gefühl der Verärgerung. Wie konnte er es wagen, sie so anzusehen, als ob sie ihr Leben verschwendet hätte? Sie liebte die Fälscherei und die damit einhergehende Erregung. Und sie liebte es, den anderen nur durch ihren Verstand voraus zu sein. Sie war nun einmal so. Oder?
    Sie dachte an einen besonderen Wesenspräger, der zusammen mit den anderen weggeschlossen war. Es war der einzige Präger, den sie noch nie benutzt hatte, doch gleichzeitig war er der Kostbarste der fünf.
    » Wir versuchen es mit einem anderen«, sagte Shai und beachtete Gaotonas Blicke nicht weiter. Sie konnte es sich nicht leisten, beleidigt zu sein. Tante Sol hatte immer gesagt, dass der Stolz die größte Gefahr in Shais Leben sein würde.
    » Also gut«, meinte Gaotona, » aber eine Sache

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