Die Seele des Königs (German Edition)
war.
» Man sagte mir«, meinte Frava, » dass du nur sehr langsam Fortschritte machst.«
Shai legte das Buch beiseite. » Tatsächlich bin ich sogar sehr schnell. Schon bald werde ich einige Stempel herstellen können. Wie ich Schlichter Gaotona heute Morgen bereits sagte, brauche ich noch eine Testperson, die den Kaiser gekannt hat. Die Verbindung zwischen den beiden wird es mir erlauben, die Stempel an ihm zu überprüfen. Sie werden nur kurz Bestand haben, aber es wird lange genug sein, damit ich einige Dinge ausprobieren kann.«
» Man wird dir jemanden bereitstellen«, erwiderte Frava und ging an dem Tisch mit der glänzenden Oberfläche entlang. Sie fuhr mit dem Finger darüber, hielt bei dem roten Siegelmal inne und kratzte daran herum. » Was für ein Schandfleck. Warum hast du das Siegel nicht auf der Unterseite der Platte versteckt, nachdem du dir solche Mühe damit gegeben hast, ihn schöner zu machen?«
» Ich bin stolz auf meine Arbeit«, sagte Shai. » Jeder Fälscher, der es sieht, kann es untersuchen und beurteilen, was ich getan habe.«
Frava schnaubte verächtlich. » Auf so etwas solltest du nicht stolz sein, kleine Diebin. Geht es bei deiner Arbeit denn nicht darum, sie zu verstecken?«
» Manchmal«, gab Shai zu. » Wenn ich eine Signatur nachmache oder ein Gemälde fälsche, gehört das Verwischen von Spuren dazu. Aber eine wahre Fälschung kann man nicht verbergen. Der Stempel wird immer da sein und genau mitteilen, was geschehen ist. Deshalb darf man durchaus stolz darauf sein.«
Das war der seltsame Zwiespalt ihres ganzen Lebens. Beim Fälschen ging es nicht nur um Seelenstempel, sondern auch um die Kunst der Mimikry in ihrer Gesamtheit. Handschriften, Kunst, persönliche Signaturen … die angehenden Fälscher – die von Shais Volk halb im Geheimen unterrichtet wurden – lernten zuerst jede Art von gewöhnlicher Fälschung, bevor ihnen beigebracht wurde, wie die Seelenstempel zu benutzen waren.
Diese Stempel waren die Spitze der Kunst, aber sie waren nur sehr schwer zu verbergen. Ja, ein Siegel konnte an einer unzugänglichen Stelle an einem Gegenstand angebracht und dann überdeckt werden. Shai hatte es gelegentlich so gemacht. Doch solange das Siegel irgendwo zu finden war, konnte die Fälschung nicht vollkommen sein.
» Lass uns allein«, sagte Frava zu Tzu und den Wächtern.
» Aber …«, sagte Tzu und machte einen Schritt nach vorn.
» Ich wiederhole mich nicht gern, Hauptmann«, sagte Frava.
Tzu knurrte leise, verneigte sich aber gehorsam. Er warf Shai einen raschen, bösen Blick zu – sie war gegenwärtig so etwas wie seine Nebentätigkeit – und zog sich zusammen mit seinen Männern zurück. Die Tür fiel hinter ihnen mit einem Klacken ins Schloss.
Der Stempel des Blutsieglers hing noch an der Tür und war erst heute Morgen erneuert worden. Der Blutsiegler kam meistens zur gleichen Zeit. Shai hatte darüber Buch geführt. An den Tagen, an denen er etwas später erschien, begann das Siegel allmählich zu verblassen, bevor er eintraf. Er erneuerte es stets rechtzeitig, aber vielleicht eines Tages …
Frava betrachtete Shai mit abschätzigem Blick.
Shai hielt ihm stand. » Tzu vermutet, dass ich Euch etwas Schreckliches antun werde, wenn wir allein sind.«
» Tzu ist ein Schwachkopf«, sagte Frava, » aber er ist sehr nützlich, wenn es darum geht, dass jemand umgebracht werden muss. Ich hoffe, du wirst nie die Gelegenheit haben, seine Fähigkeiten am eigenen Leibe zu spüren.«
» Macht Ihr Euch denn gar keine Sorgen?«, fragte Shai. » Ihr seid in diesem Raum allein mit einem Ungeheuer.«
» Ich bin in diesem Raum allein mit einer Opportunistin«, sagte Frava, schlenderte zur Tür und untersuchte das Siegel, das dort brannte. » Du wirst mir nichts tun. Du bist viel zu neugierig, warum ich die Wachen weggeschickt habe.«
Ich weiß genau, warum du sie weggeschickt hast , dachte Shai. Und warum du zu einer Zeit gekommen bist, in der alle anderen Schlichter auf dem Fest sind . Sie wartete darauf, dass Frava ihr ein Angebot machte.
» Ist dir schon einmal der Gedanke gekommen«, sagte Frava, » wie nützlich es für das Reich wäre, einen Kaiser zu haben, der auf die Stimme der Weisheit hört, wenn sie zu ihm spricht?«
» Sicherlich hat Kaiser Ashravan das immer getan.«
» Manchmal«, sagte Frava. » Doch hin und wieder konnte er … auf geradezu streitlüsterne Weise närrisch sein. Wäre es nicht wunderbar, wenn er nach seiner Wiedergeburt diese Eigenschaft
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