Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seele des Königs (German Edition)

Die Seele des Königs (German Edition)

Titel: Die Seele des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
Vom Netzwerk:
vorgenommen. Die Experten hätten die gute Kopie behalten und dabei stets geglaubt, es wäre das Original, nach dem deshalb niemand mehr gesucht hätte.«
    » Mehr oder weniger.«
    » Das ist sehr schlau«, sagte Gaotona. » Wenn du erwischt worden wärest, als du dich zum Stehlen des Zepters in den Palast geschlichen hast, hättest du angeben können, dass du nur das Bild entwenden wolltest. Eine Durchsuchung deines Zimmers hätte die Fälschung zutage gebracht, und dir wäre das versuchte Bestehlen einer Privatperson zur Last gelegt worden, was ein viel geringeres Verbrechen als das Stehlen einer kaiserlichen Reliquie darstellt. Du hättest statt der Todesstrafe zehn Jahre Arbeitslager erhalten.«
    » Doch leider«, sagte Shai, » wurde ich im falschen Augenblick verraten. Der Narr hat dafür gesorgt, dass ich gerade dann erwischt wurde, als ich die Galerie mit dem Zepter verlassen habe.«
    » Aber was ist mit dem Originalgemälde geschehen? Wo hast du es versteckt?« Er zögerte. » Es befindet sich noch im Palast, nicht wahr?«
    » In gewisser Weise.«
    Gaotona sah sie an und lächelte noch immer.
    » Ich habe es verbrannt«, sagte Shai.
    Sofort verschwand das Lächeln. » Du lügst.«
    » Diesmal nicht, alter Mann«, sagte Shai. » Das Bild war nicht das Risiko wert, es aus der Galerie zu schaffen. Ich habe diesen Austausch nur vorgenommen, weil ich herausfinden wollte, wie gut sie gesichert ist. Es ist mir gelungen, die Fälschung ohne Schwierigkeiten einzuschmuggeln; es werden nicht diejenigen durchsucht, die hineinkommen, sondern nur jene, die hinausgehen. Das Zepter war mein wahres Ziel; das Stehlen des Bildes war dabei nur zweitrangig. Nachdem ich es ausgetauscht hatte, habe ich das Original in einen der Kamine der Hauptgalerie geworfen.«
    » Das ist schrecklich «, sagte Gaotona. » Es war ein echter ShuXen – sein größtes Meisterwerk! Er ist inzwischen erblindet und kann nicht mehr malen. Hast du eine Ahnung, welchen Wert …« Er verstummte. » Das begreife ich nicht. Warum hast du so etwas getan?«
    » Es ist doch völlig gleichgültig. Niemand wird es je erfahren. Man wird die Fälschung betrachten und mit ihr zufrieden sein. Es ist also kein Schaden entstanden.«
    » Das Gemälde war ein unschätzbar wertvolles Kunstwerk!« Gaotona sah sie böse an. » Der Grund für den Austausch war nur deine Anmaßung und sonst gar nichts! Du wolltest das Original nicht verkaufen. Du wolltest nur, dass an seiner Stelle deine Kopie in der Galerie hängt. Du hast etwas Wunderbares zerstört, weil du dich selbst hervorheben wolltest!«
    Sie zuckte die Achseln. Es war noch mehr an dieser Geschichte, aber es stimmte, dass sie das Bild verbrannt hatte. Sie hatte ihre Gründe dafür gehabt.
    » Für heute sind wir fertig«, sagte Gaotona mit rotem Gesicht. Er machte eine abwehrende Handbewegung in ihre Richtung, während er aufstand. » Und dabei war ich allmählich zu dem Glauben gekommen, dass … Pah!«
    Er trat durch die Tür.

TAG ZWEIUNDVIERZIG
    J eder einzelne Mensch war ein Rätsel.
    So hatte es Tao, ihr erster Lehrer in der Kunst der Fälschung, erklärt. Ein Fälscher war nicht bloß ein einfacher Betrüger oder Schwindler. Ein Fälscher war ein Künstler, der mit der menschlichen Wahrnehmung arbeitete.
    Jeder rußbeschmierte Straßenjunge konnte jemanden betrügen. Ein Fälscher hatte höhere Ziele. Einfache Schwindler führten ihr Opfer hinters Licht und flohen, bevor es die Wahrheit erkannte. Ein Fälscher musste etwas so Vollkommenes, Schönes und Wahres erschaffen, dass es niemals infrage gestellt wurde.
    Ein Mensch war wie ein dichtes Unterholz im Wald, überwuchert mit Ranken, Setzlingen, Gebüsch, Unkraut und Blumen. Kein Mensch bestand nur aus einem einzelnen Gefühl; kein Mensch hatte bloß ein einziges Verlangen. Jeder besaß viele verschiedene, und oft lagen sie im Widerstreit miteinander wie Rosensträucher, die um denselben Platz im Boden kämpften.
    Respektiere die Menschen, die du belügst, hatte Tao ihr beigebracht. Bestehle sie lange genug, und du wirst anfangen, sie zu verstehen.
    Shai schrieb ein Buch, während sie arbeitete – die wahre Lebensgeschichte des Kaisers Ashravan. Sie würde wahrhaftiger sein als jede Geschichte, die von den amtlichen Schreibern zu seiner Glorifizierung verfasst worden war, und sogar wahrer als diejenige, die er mit eigener Hand geschrieben hatte. Langsam fügte Shai die einzelnen Teile des Puzzles zusammen und kroch in das Dickicht, das Ashravans Geist

Weitere Kostenlose Bücher