Die Seele des Königs (German Edition)
Sol sind Teil dieser Veränderung. Ich habe es hier in der Platte gelesen.«
» Sie sind eine Fälschung«, flüsterte Shai.
» Aber du redest doch andauernd von ihnen.«
Sie kniff die Augen zusammen.
» Ich vermute«, sagte Gaotona, » dass in einem Leben voller Lügen Wahres und Falsches irgendwann durcheinandergeraten. Aber wenn du diesen Stempel benutzen solltest, würdest du doch sicherlich nicht alles vergessen. Wie könntest du sonst Täuschung von Wahrheit unterscheiden?«
» Das wäre die größte Fälschung von allen«, sagte Shai. » Eine Fälschung, die sogar mich selbst zum Narren hält. In den Präger eingeschrieben ist der Glaube, dass ich sterben werde, wenn ich mich nicht jeden Morgen stempele. Er beinhaltet die Geschichte einer Krankheit und den Besuch bei einem … Neusiegler, wie Ihr es nennt – bei einem Heiler, der mit Seelenstempeln arbeitet. Von ihm hat mein falsches Selbst ein Heilmittel bekommen, das ich jeden Morgen anwenden muss. Tante Sol und Onkel Won schicken mir Briefe; das ist ein Teil der Scharade, mit der ich mich selbst hintergehe. Ich habe sie bereits geschrieben. Es sind Hunderte, und bevor ich den Wesenspräger bei mir selbst anwende, werde ich sie zu einem Zustelldienst bringen, der sie mir für gutes Geld in gewissen Abständen schickt.«
» Aber was wäre, wenn du sie besuchen willst?«, fragte Gaotona. » Wenn du Nachforschungen über deine Kindheit anstellen willst …«
» Das befindet sich alles in der Platte. Ich werde Angst vor Reisen haben. Darin liegt eine gewisse Wahrheit, denn als Jugendliche hatte ich wirklich Angst davor, mein Dorf zu verlassen. Sobald der Stempel angebracht ist, werde ich mich von allen Städten fernhalten. Ich werde der Meinung sein, dass ein Besuch bei meinen Verwandten zu gefährlich ist. Aber das alles ist unwichtig. Ich werde ihn nie benutzen.«
Dieser Stempel wäre ihr Ende. Sie würde die letzten zwanzig Jahre vergessen – alles, seit sie im Alter von acht Jahren zum ersten Mal darüber nachgedacht hatte, Fälscherin zu werden.
Sie würde zu einer völlig anderen Person werden. Keiner der übrigen Wesenspräger wirkte auf diese Weise; sie schrieben einen Teil von Shais Vergangenheit um, beließen ihr aber das Wissen, wer sie wirklich war. Doch bei dem letzten war es anders. Er würde endgültig sein. Und das machte ihr Angst.
» Eine Menge Arbeit für etwas, das du niemals benutzen wirst«, sagte Gaotona.
» So ist das halt manchmal im Leben.«
Gaotona schüttelte den Kopf.
» Ich hatte den Auftrag, das Bild zu vernichten«, platzte Shai heraus.
Sie war sich nicht ganz sicher, was sie zu dieser Aussage getrieben hatte. Sie musste Gaotona gegenüber ehrlich sein – nur so konnte ihr Plan funktionieren –, aber dafür war diese Information nicht unbedingt notwendig. Oder?
Gaotona schaute auf.
» ShuXen hat mich angeheuert, um Fravas Bild zu vernichten«, sagte Shai. » Deshalb habe ich das Meisterwerk verbrannt, anstatt es aus der Galerie herauszuschmuggeln.«
» ShuXen? Aber … er ist doch der Künstler! Warum sollte er dich beauftragen, eines seiner eigenen Werke zu zerstören?«
» Weil er das Reich hasst«, sagte Shai. » Er hatte dieses Bild für die Frau gemalt, die er liebte. Ihre Kinder haben es dem Reich geschenkt. ShuXen ist jetzt alt, blind und kann sich kaum mehr bewegen. Er wollte nicht mit dem Wissen ins Grab gehen, dass eines seiner Werke zum Ruhm des Reichs der Rose dient. Er hat mich angefleht, es zu verbrennen.«
Gaotona schien verblüfft zu sein. Er sah sie an, als ob er bis zu ihrer Seele durchdringen wollte. Shai wusste nicht, warum er das noch versuchte; in diesem Gespräch hatte sie sich doch bereits vor ihm ganz entblößt.
» Ein Meister seines Formats ist schwer zu imitieren«, sagte Shai, » insbesondere wenn man das Original nicht zur Verfügung hat. Wenn Ihr darüber nachdenkt, werdet Ihr feststellen, dass ich bei dieser Fälschung Hilfe gehabt haben muss. Er hat mir Zugang zu seinen Studien und Vorzeichnungen verschafft; er hat mir verraten, auf welche Weise er es gemalt hat. Er hat mir die Pinselstriche gezeigt.«
» Warum hast du ihm das Original nicht zurückgegeben?«, fragte Gaotona.
» Er liegt im Sterben«, sagte Shai. » Der Besitz dieses Bildes ist für ihn nicht länger von Bedeutung. Er hatte es für eine Geliebte gemalt. Sie existiert nicht mehr, und deshalb war er der Meinung, dass auch das Bild nicht mehr existieren sollte.«
» Ein unschätzbar wertvolles Werk«, sagte
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