Die Seele des Ozeans (German Edition)
plötzliche Strömung ihn zur Seite drückte und sein Rücken über Sand schrammte. Blinzelnd öffnete er die Augen. Nein, keine Strömung, sondern ein Schwertwalkalb, das ihn neugierig anrempelte. Ein anderes Tier nahm die Kamera in Augenschein, packte sie mit den Zähnen und schüttelte sie hin und her.
Kjell warf dem Tier einen scharfen Befehl zu. Die Kamera fiel in den Sand, doch das zweite Kalb, das ihn unsanft angestoßen hatte, begann erneut mit ihm zu spielen. Stück für Stück wurde er über den Sand geschoben.
Hör auf!
Der Orca ließ tatsächlich von ihm ab, aber nicht, weil er seinem Befehl gehorchte. Ein Schwarm großer Quallen dümpelte durch den Tangwald und lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Kälber auf sich. Drei der Gallertwesen fanden ihr Ende zwischen zuschnappenden Zähnen, die anderen mussten damit leben, zum Spielball zu werden. Eine Weile waren die beiden Orcas damit beschäftigt, sich gegenseitig die Quallen zuzuschubsen, bis auch diese Unternehmung langweilig wurde und sie sich wieder Kjell zuwandten. Pfeifend und klickend umkreisten sie ihn, während er sie dabei filmte.
Was kann es?, verlangten sie mit sanften Kopfstößen gegen seine Schulter zu wissen. Wozu ist es gut? Zeig es uns.
Kjell überlegte. Wale kannten keine Worte, nur Gefühle und Bilder waren ihnen vertraut. Er dachte an die flimmernden Kisten, vor denen die Menschen saßen, um weit entfernte Dinge zu sehen – oder ihresgleichen, die von weit entfernten Dingen erzählten –, aber er hatte kaum mit der Umschreibung begonnen, als er bereits merkte, dass die Tiere sie nicht begriffen. Es war zu fremd für sie. Zu seltsam.
Sie umkreisten ihn noch einige Male, dann kehrten sie zu ihrer Herde zurück. Über ihm dämmerte bereits der Abend. Hatte er so lange im Tangwald geschlafen? Im Meer verlor er oft das Gefühl für die Zeit, oder besser gesagt, hatte er sich bisher nicht um sie gekümmert. Aber jetzt wartete Fae auf ihn. Er wollte endlich wieder ihre Stimme hören, ihre Hände auf seiner Haut spüren und ihren süßen, weichen Menschengeruch atmen.
Kjell achtete nicht weiter auf die Kamera, klemmte sie sich einfach unter den Arm und schwamm los. Vermutlich filmte sie ohnehin nicht mehr. So, wie den Menschen unter Wasser schnell die Luft ausging, versagten auch ihre Hilfsmittel nach kurzer Zeit.
Er war schnell, aber nicht schnell genug. Was für ein seltsames Gefühl, so gehetzt zu sein. Sein Herz hatte noch nie so wild geschlagen, nicht einmal in jenen Augenblicken, in denen er um sein Leben gefürchtet hatte.
Als der Schatten des Schiffes über ihm auftauchte, fühlte sich sein Blut wie Lava an. Es war herrlich. Berauschend und aufregend. Der Mond versilberte das Meer, als er vor der Leiter auftauchte, die Kamera dem bereits wartenden Hawaiianer übergab und an Bord kletterte. So betäubt konnten die Sinne der Menschen nicht sein, wenn sie sein Kommen gespürt hatten.
Nein, erinnerte er sich im nächsten Moment. Sie haben dieses Ding im Schiff, das ihnen sagt, was im Meer ist. Dieses … wie hieß es noch gleich? … Sonar?
„Einen schönen Tag gehabt?“ Ukulele gab ihm eine der kratzigen, grauen Decken. Kjell nahm sie dankbar entgegen und wickelte sich darin ein. Der Hawaiianer, Henry und Fae waren bis zur Nase in dicke Kleider gehüllt, ihre Zähne klapperten vor Kälte. Er hingegen spürte nicht einmal einen Hauch von Kühle. Plötzlich wurde ihm wieder bewusst, wie sehr er sich von diesen Geschöpfen unterschied, und die Wahrheit in den Worten des anderen drohte ihn zu überwältigen. Aber dann sah er Faes Lächeln, und es war so wunderschön, dass es jeden Zweifel fortwischte. Sie kam zu ihm, legte ihre Hände auf seine Schultern und küsste ihn. Sicher war er für sie wie ein Eisblock, aber wenn es so war, dann zeigte sie es nicht. Er seufzte wohlig, als sie beide Hände in seine tropfenden Haare grub und ihn noch verlangender küsste. Beim schlingenden Pelikanaal, er wollte allein mit ihr sein. Er musste allein mit ihr sein. Jetzt! Sofort!
„Kommt ihr mit?“, fragte Ukulele. „Wir sehen uns das Video an.“
„Nein. Wir …“
Kjell unterbrach Fae, indem er einen Finger auf ihre Lippen legte. Sie waren so warm und seidig und fühlten sich feucht an. Seine Gedanken verselbstständigten sich. Was wollte er noch mal sagen? Warum wollte er sie nicht sofort über seine Schulter werfen und in ihre Koje tragen?
Ah ja, genau, weil er wissen wollte, was vorhin im Wasser mit ihm geschehen war.
„Nur
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