Die Seele des Ozeans (German Edition)
enden!
„Es ist lange her, dass ich meine Frau das letzte Mal geküsst habe.“ Der Mann blickte an ihr vorbei ins Leere. Seine Wehmut zu sehen, tat körperlich weh. Der Gedanke, irgendwann nur noch Erinnerungen zu haben, nichts als blasse Geister aus der Vergangenheit, entfachte in Fae ein wütendes Aufbegehren.
„Das tut mir leid.“
„Unsinn. Das muss es nicht. Wozu auch?“
Sie wünschte sich, der alte Mann möge einfach weitergehen. Es war unhöflich, aber sein Anblick verwandelte ihren melancholischen Genuss in etwas, das ihr mit seiner Hässlichkeit die Luft abschnürte.
„Es ist sehr lange her“, schnarrte der Alte. „Mir kommt es vor, als wären Jahrtausende vergangen, und zugleich rückt die alte Zeit immer näher. Ich weiß kaum noch, was gestern war. Aber ich weiß, wie wir damals zusammen lebten, in unserer Hütte drüben in Schottland. Oh, es war ein kärgliches Heim. Kein Mensch würde ein solches Leben mehr als schön bezeichnen, aber ich tat es. Wir hatten alles, was wir brauchten. Einen gesunden Sohn, einen Garten voller Kräuter und Gemüse, eine kleine Schafherde, einen Brunnen mit Quellwasser und ein warmes Feuer. Es waren glückliche Jahre für uns. Ich war ein guter Ehemann und ein guter Vater. Aber wie sagt ein altes Sprichwort so schön: Willst du Frieden, mach dich bereit für den Krieg. Es kam also, wie es kommen musste. Ich zog in den Kampf. Und als ich zurückkehrte …“ Er holte rasselnd Luft. Ein fürchterlicher Husten schüttelte seinen Körper, und Fae konnte nichts weiter tun, als ihm hilflos dabei zuzusehen.
„Als ich zurückkam“, fuhr er röchelnd fort, „lag meine Frau im Sterben. Ihr Körper und ihre Seele waren zerstört. Ich habe nie erfahren, was man ihr alles angetan hat, aber es muss lange gedauert haben. Sehr lange. Von der Frau, die ich mehr als mein eigenes Leben geliebt habe, ist nichts übrig geblieben. Und wissen Sie, was die Bastarde unserem Kind angetan haben? Es konnte noch nicht einmal laufen.“
Ich will das nicht hören. Lass mich in Ruhe.
Fae wollte aufstehen und weitergehen, aber der Alte drang weiter auf sie ein: „Ich war kein Mensch, der einfach aufgibt. Ich kannte ein Geheimnis, das sie wieder gesund machen konnte, aber es zu bekommen, war schwer. Ich wäre fast dabei gestorben. Am Ende war es trotzdem zu spät, denn ehe ich ihr das magische Blut geben konnte, war sie bereits tot. Für sie kam die Unsterblichkeit zu spät, aber nicht für mich. Ich schwor, meine Frau zu rächen, aber das Schicksal bestrafte mich erneut, denn ehe ich das Herz des Wales herausschneiden konnte, verschwand er in der Tiefe. Alles, was ich bekam, war ein Stück seines Fleisches. Es war genug, um mich lange am Leben zu erhalten, aber nicht genug für ewige Jugend. Sieh mich an. Sieh, was das Alter aus mir macht. Was es aus uns allen macht.“
Fae saß da wie gelähmt.
Oh nein. Er ist es! Er ist mir gefolgt. Aber wie ist das möglich?
Sie war allein mit ihm, der Hafen leer. Niemand sah sie, niemand hörte sie. Dieses zitternde, gebrechliche Knochenbündel war jener Mann, der Kjell das Messer in den Leib gestoßen hatte? Wieder hustete er. Blutige Bröckchen landeten auf seiner Hose und wurden vom Regen verwischt. Fae zitterte vor Ekel.
Lauf weg! Er holt dich niemals ein. Er ist alt und schwach.
Aber sie blieb sitzen. Konnte sich nicht rühren. Kämpfte und schrie stumm und regungslos. Was war mit ihr los? Warum saß sie noch hier?
Ich muss Kjell warnen … ich muss …
Ihre Gedanken verloren sich in einem zähen Sumpf.
„Du willst wissen, wie wir euch gefunden haben?“, raunte der Alte. „Die Magie deines Freundes ist zu groß geworden, um sie zu verstecken. Seit er in dich vernarrt ist, gleicht sie einem Feuer in dunkler Nacht. Oh, diese Kraft ist das Wundervollste, das ich je gespürt habe. Es tut mir leid, was ich tun muss. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. Aber den gibt es nicht.“
Wir … er sagte wir.
Fae blinzelte benommen auf das Meer hinaus. Versteckte sich dort draußen das Monster? So dicht an der Stadt? Wenn es Kjells Witterung aufgenommen hatte, dann … oh nein … sie musste ihn warnen.
Seit er in dich vernarrt ist, gleicht sie einem Feuer in dunkler Nacht.
Die Worte hallten wie ein höhnisches Echo durch ihren Kopf.
Ich bin schuld, ich bin schuld …
Bewege dich, verdammt! Mach schon!
Der Alte drehte an dem goldenen Ring, den er an seiner linken Hand trug. Plötzlich griff er mit der Schnelligkeit einer Schlange nach
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