Die Seele des Ozeans (German Edition)
Seelenfresser ihren Sinn erfüllen.
Ja, ich blickte in die Seele eines Mörders, weil er ein Teil unserer Geschichte war und es immer noch ist – oder auch nur, weil er in unmittelbarer Nähe war, als Kjell sich mit mir vereinte. Wer weiß. Möglicherweise geschah es auch, weil es meine Aufgabe war, das Buch zu schreiben. Ich habe nicht alle Erinnerungen aus Breacs Leben verewigt, weil ich mehr nicht ertragen hätte. Die wenigen Episoden im Buch waren schon zu viel für mein Seelenheil. Vielleicht wird es dir nicht genügen, was ich dir über ihn und den Seelenfresser verraten habe, aber damit muss ich leben.
Sicher möchtest du auch wissen, was damals auf dem Segelschiff geschehen ist. Warum habe ich dir in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Freiheit geraubt und dich in ein gewöhnliches Leben gezwungen? Im Nachhinein glaube ich, einen großen Fehler begangen zu haben. Alles, was ich gesehen habe, war ein riesiger heller Schatten im Wasser, und weil ich glaubte, es sei Breacs Ungeheuer, habe ich dich so tief ins Landesinnere geschafft, wie ich nur konnte. Damals konnte ich vor Angst kaum klar denken, später fragte ich mich, ob es nicht doch nur der Glanz des Mondes war, oder eine Wolke aus leuchtenden Tiefseetieren. Immerhin wurden wir fünfzehn Jahre lang von niemandem verfolgt. Weder hörten oder sahen wir etwas von Breac, noch tauchte irgendwo sein Seelenfresser auf. Ich werde nie erfahren, ob es wirklich das Monster war, das unter unserem Schiff hindurchschwamm, oder doch nur ein Produkt meiner Fantasie. Für all die Jahre, in denen du wegen meiner Entscheidung gelitten hast, bitte ich dich um Verzeihung.
Das Einzige, was ich dazu sagen kann: Ich tat es, um dich zu schützen. Ich tat es aus Angst um dich. Dich zu verlieren, wie ich deinen Vater verloren habe, wäre unerträglich gewesen. Lebe dein Leben, mein Sohn. Treffe deine eigenen Entscheidungen. Aber sei dir der Gefahren bewusst, von denen dir mein Buch erzählt hat. Und wenn du um mich trauerst, dann tröste dich mit dem Gedanken, dass die Liebe meines Lebens kam, um mich mit sich zu nehmen. Wir gehen gemeinsam in die wunderschöne Welt, von der ich dir erzählt habe, und ich weiß, dass auch wir uns wiedersehen werden.
Ich liebe dich. Unendlich und für immer.
Fae
Kjell rang nach Atem. Seine Lungen gaben ihre Funktion auf, stattdessen schoss ein reißender Schmerz in seine Seiten.
Er musste raus, das Meer sehen. Ein solch machtvolles Drängen überwältigte ihn, dass er ihm nichts entgegensetzen konnte. Kjell riss die Tür auf und rannte über die Dünen. Alles fiel von ihm ab. Der Schmerz, die Erinnerung und die Angst.
Nur Faes Worte hallten noch durch seinen Kopf:
Lebe dein Leben, mein Sohn.
Treffe deine eigenen Entscheidungen.
Er warf sich in die Wellen, spürte die Umarmung des eiskalten Wassers, die Tiefe, den Sog – und gab sich ihm hin. Das Meer nahm ihn auf. Zog ihn hinaus, weit hinaus. Bis alles verschwand.
Alles ist gut, sagte es. Du bist in deinem wahren Zuhause.
Ich habe dir so viel zu zeigen.
Epilog
Fae kämpfte gegen die Tiefe, bis ihre Kräfte sie verließen. Ein kurzes Gefühl des Bedauerns, als sie versank, dann spürte sie ihren Körper nicht mehr. Um sie herum war alles schwarz. Kein Leuchten, keine Wärme aus Licht gesponnen. Aber sie fürchtete sich nicht.
Er würde kommen. Sie wusste es.
Es war, als sei sie eine Ewigkeit gesunken, ehe der Schmerz ihre Lungen brennen ließ. Zu tief, um noch an die Oberfläche zu schwimmen. Viel zu tief. Fae wusste, dass der Moment des Kämpfens genauso kurz sein würde wie das Gefühl des Bedauerns. Sie wehrte sich nicht dagegen. Ihr Brustkorb brannte, ihre Glieder zuckten und versuchten matt, gegen das Sterben anzukämpfen.
Und dann spürte sie es endlich. Das Ersehnte, das so lange Erhoffte. Seine Arme schlossen sich um sie. Ein Kuss, zart wie ein Hauch und kühl wie Eis, besiegelte das Ende und den Anfang. Behutsam trug er sie an die Oberfläche. Oh ja, er fühlte sich genauso an wie damals. Ganz genauso.
Endlos lange Jahre zerschmolzen zu Nichts.
Sie durchbrachen das Wasser. Vor ihr schwebte sein helles Gesicht in der Dunkelheit. Nicht menschlich. Ewig jung. So hatte sie ihn nur einmal gesehen. Auf einer Videoaufnahme vor langer Zeit, als er sich das erste Mal in das Wesen verwandelt hatte, das seine Bestimmung war. Aber es wirkte nicht mehr fremdartig auf sie, sondern atemberaubend schön.
„Du hast mich gefunden.“
„Ja“, flüsterte er nur.
„Bist du echt? Warum
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