Die Seele des Ozeans (German Edition)
mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Ich habe nur Angst um Fae. Verstehst du das? Eine Scheiß-Angst!“
„Ich verstehe“, antwortete Kjell.
„Ich für meinen Teil schweige wie ein Grab“, verkündete der Hawaiianer. „Wir sind die Auserwählten. Wir erfahren Dinge, von denen der Rest der Menschheit keine Ahnung hat. Das ist besser als jedes Titelblatt. Was meinst du, Kumpel?“
Er rempelte Henry an, der einen Stoßseufzer von sich gab und auf den Bildschirm schielte.
„Ich weiß, was du denkst.“ Ukulele setzte ihm einen Zeigefinger auf die Brust. „Wenn du irgendwem das Video schickst, wird Folgendes passieren: Entweder ich zerquetsche dich zu Sülze und niemand wird dir glauben, sondern es für eine Fälschung halten. Oder ich zerquetsche dich zu Sülze und irgendwelche dubiosen Typen kreuzen hier auf, werden Kjell einsacken und uns mundtot machen. Vielleicht, indem sie uns gleich um die Ecke bringen. Oder sie nehmen den Umweg, jubeln uns einen Skandal unter und versauen uns den Rest unseres Lebens.“
Henry gab ein Knurren von sich. „Ich glaube erst daran, wenn ihm vor meinen Augen ein Schwanz wächst.“
„Schwöre, dass du ihn nicht verrätst“, drängte Ukulele.
„Ich schwöre es.“
„Zeig mir deine Hände und schwöre nochmal.“
Henry rollte mit den Augen, streckte beide Arme hoch und wiederholte: „Ich schwöre es. Aber ich glaube immer noch nicht an Meerjungfrauen.“
Alexander kicherte. Gott, er fühlte sich, als hätte er seinen gesamten Hanfvorrat auf einmal aufgeraucht. Wie durch einen Nebel spürte er, wie Fae ihm aufhalf. Na wunderbar. Seine schwache, kranke Schwester musste ihn stützen. Alles war gedämpft, alles surreal, wie damals in seiner Studentenzeit, als er höchstens fünf Minuten pro Woche nüchtern gewesen und sein Zimmer als Drogenhöhle verschrien war.
Während sie gemeinsam das Haus verließen und hinunter zum Strand gingen, kicherte er ohne Unterlass.
Ich knalle durch! Das ist es. Ich bin endgültig verrückt geworden.
„Manche Menschen reagieren so auf drastische Veränderungen“,
hörte er Henry klugscheißen. „Ihnen brennen wortwörtlich die Sicherungen durch.“
„Ist das gefährlich?“, fragte Ukulele.
„Er muss es einfach nur akzeptieren.“
„Ob es helfen wird, den Beweis zu sehen?“
„Möglicherweise“, erwiderte Henry. „Oder es bewirkt das genaue Gegenteil. Wir sehen, was unser Freund wirklich ist, und sind allesamt reif für die Klapse.“
„Warum ist das so schwer für euch?“, warf Fae ein. „Nur ein geringer Teil des Meeres ist erforscht. Ständig werden neue, unbekannte Arten entdeckt. Die Ozeane sind ein einziges riesengroßes Rätsel, und Kjell ist die Bestätigung dieser Tatsache.“
„Meine Liebe“, schnarrte Henry. „Es ist ein Unterschied, ob man eine neue Garnelenart vor die Nase gesetzt bekommt, oder ob jemand vor deinen Augen zu einem halben Fisch wird.“
„Warum?“, fragte Fae.
Darauf wusste auch Henry keine sinnvolle Antwort.
Verschwommen registrierte Alexander, wie klar die Nacht war. Der Mond war untergegangen, die Milchstraße funkelte am Himmel. Eine Art feierliche Traurigkeit erfasste ihn, ausgelöst vom Himmel, den Wellen und dem Strandhafer auf den Dünen, der sich einlullend im Wind wiegte. Kjell ging ihnen voraus, und als er sich am Saum der Brandung zu ihnen umdrehte und seine Kleidung auszog, steigerte sich dieses Gefühl zu etwas, für das Alexander keine Worte fand. Nein, drei Worte fand er. Sie umschrieben das, was ihn überwältigte, am ehesten.
Völlig abgedrehte Magie.
Mühsam krallte sich Alexander an den letzten, aufrecht stehenden Ruinen seines Verstandes fest. Wenn Fae wieder gesund wurde, konnten sie gemeinsam die Welt bereisen. So, wie sie es sich immer ausgemalt hatten. Er und Fae konnten gemeinsam alt werden.
Ich träume! Das ist nur ein irrer Drogentrip!
Kjells nackter Körper leuchtete im Dunkeln. Alexander widerstand dem Impuls, seiner Schwester die Augen zuzuhalten. Besser, er dachte nicht daran, was die beiden vielleicht schon miteinander angestellt hatten.
Geh ins Wasser, Mann. Hör auf, splitterfasernackt vor meiner Schwester rumzustehen.
Fae lächelte glückselig, Ukulele und Henry erschienen ihm wie Kinder, die gerade erlebten, wie eine Märchenfigur lebendig und zum Anfassen aus ihrem Lieblingsbuch kletterte. Als Kjell bis zu den Knien in den Wellen stand, nickte er Alexander zu. Ihm war nicht klar, was das zu bedeuten hatte. Sollte er etwas tun oder etwas
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