Die Seele des Ozeans (German Edition)
sagen? Was zum Geier wollte ihm diese Sardine vermitteln?
Der Schimmer, der von Kjells Haut ausging, wurde stärker. Er begann zu strahlen wie der Vollmond, aber trotz seiner Helligkeit blieb das Licht sanft und samtig, hüllte seine Gestalt in ein Halo und brachte das Wasser zum Leuchten.
Kjells Hände veränderten sich. Seine Nägel wurden spitz, Schuppen begannen auf Armen, Taille und Hüfte zu wachsen, während die Beine in leuchtendes Weiß getaucht wurden.
„Könnte das nur meine Großmutter sehen“, ächzte Ukulele.
„Ihr filmt Tiere, nicht wahr?“ Kjells Blick ruhte auf Fae. Noch nie hatte Alexander seine Schwester so gesehen. Nicht einmal in ihren glücklichen Jahren. Sie schien ganz und gar verzaubert. „Was für Tiere?“
„Alle“, hauchte Henry. „Alle, die uns vor die Linse schwimmen.“
„Gut. Ich kann euch rufen, was immer ihr wollt.“
Alexander konnte den Blick nicht von ihm wenden. Jeden Augenblick würde er etwas sehen, das sein Leben von Grund auf veränderte. Er würde Zeuge eines Schauspiels werden, das vermutlich noch kein Mensch zuvor erblickt hatte. Er glaubte noch immer nicht daran, obwohl Kjells menschliche Gestalt Schicht für Schicht verschwand. Da waren sie, die Stacheln, die sie auf der Videoaufnahme gesehen hatten. Spitz und scharf schoben sie sich entlang der Wirbelsäule aus der Haut.
„Wie meinst du das?“, fragte Henry. „Rufen im Sinne von anlocken?“
Kjell nickte. „Nehmt Fae und mich mit. Ich bringe euch alles, was ihr wollt. Ich kann euch das Meer zeigen, wie ihr es alleine niemals sehen könntet.“
„Ist das dein Ernst?“
Alexander kicherte erneut. Diese Kreatur war menschlicher, als er erwartet hatte. Kjell wollte sie anscheinend bestechen. Er handelte um das Recht, bei Fae bleiben zu dürfen, wie es ein Kind tun würde. Irgendwie rührend.
„Du kannst jedes Tier herbeirufen, das wir uns wünschen?“
Kjell nickte.
Henry und der Hawaiianer ergingen sich in begeistertem Genuschel, doch Alexander war unfähig, ihre Euphorie zu teilen. Wenn Kjell ihnen das Unglaubliche zeigte, würde das vieles verändern. Immer waren sie den Naturgesetzen gefolgt, hatten sich der Wissenschaft untergeordnet und waren unverrückbaren Regeln gefolgt. Aber jetzt?
Es gibt keine Meerjungfrauen, beharrte die Stimme seiner Vernunft. Denn wenn es sie gibt, was gibt es dann noch? Die Monster in den Wandschränken? Den Prinzen im Frosch? Die Zahnfee?
Noch während dieser Gedanke wie ein Echo in seinem Kopf hin und her schwirrte, legte sich Kjell in die Brandung. Er wandte ihnen den Rücken zu, als wäre es ihm unangenehm, ihre Blicke sehen zu müssen. Fae kniete sich neben ihm ins Wasser und schauderte, als die Wellen sie umspülten. Alexander glaubte erst, sich zu täuschen. Vor mehreren Wochen hatte sie die Fähigkeit verloren, Wärme oder Kälte zu spüren. Die Ärzte hatten ihm versichert, dass nichts von dem, was Fae verlor, zurückkehren würde. Aber jetzt sah er, wie ihre Unterarme sich mit Gänsehaut überzogen. Ja, sie saß im Wasser und zitterte wie Espenlaub.
Es ist wahr!
Mein Gott, er macht sie wieder gesund.
Alexander zog sein Hemd aus und gab es ihr, damit sie es anziehen konnte. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er dabei die Haut ihres Oberarms streifte, denn er spürte die lebendige Hitze ihres Körpers.
Fae kam zu ihm zurück. Sie würde ihn nicht verlassen!
Unendliche Dankbarkeit überwältigte ihn. Schweigend und starr sah er zu, wie Kjells Körper sich veränderte. Auf der Haut seines Oberkörpers erschienen leuchtende Sprenkel und Streifen. Noch mehr Schuppen wuchsen auf Kjells Haut, und dann verschmolzen zwei Beine zu einem einzigen, geschmeidigen Körper. Henry ging stammelnd in die Knie, Ukulele sank in sich zusammen und fiel mit einem lauten Platschen ins Wasser.
Das Meer war erfüllt von Kjells mondhellem Schimmern. Füße wuchsen zusammen und bildeten einen unansehnlichen Klumpen, der plötzlich aufbrach, sich wie ein Fächer entfaltete und zu einer großen, weißen Flosse wurde. Anmutig bewegte sie sich im Wasser auf und ab. Zwei weitere Flossen schoben sich an seinen Hüften hervor, kleiner und zarter, bedeckt mit winzigen weißen Sprenkeln.
Alexander brabbelte etwas vor sich hin, das er selbst nicht verstand. Das Unfassbare anzusehen, genügte nicht. Augen konnten getäuscht werden. Er musste Kjell berühren, musste sehen, dass er aus Fleisch und Blut war und begreifen, dass er nicht zu Nebel wurde wie eine Traumgestalt im
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