Die Seele des Ozeans
Leben ist immer gefährlich. Wenn du verschwindest, werde ich auf jeden Fall sterben, verstehst du? Der Tumor kehrt zurück, mir würden höchstens ein paar Wochen bleiben. Geht das nicht in deinen verdammten Fischkopf?“
„Galway“, wiederholte er. Eine Stadt. Kein Ort, an dem er sein wollte. Aber Fae hatte recht, ohne ihn würde sie wieder krank werden, so, wie es während seiner Reise in den Norden geschehen war. Oh, er hätte nie zu ihr gehen dürfen. Wäre er doch an jenem Morgen nur im Wasser geblieben.
„Gut“, sagte er. „Aber wir müssen gleich morgen früh los.“
„Das werden wir.“ Fae fiel ihm in die Arme. Es war so wunderbar, sie festzuhalten. Sie einfach nur zu spüren. „Alles wird gut. Ich weiß es.“
~ Fae ~
Galway schien in erster Linie eines zu bedeuten: Regen.
Der Tag wollte und wollte nicht vergehen, während die Tropfen unaufhörlich gegen die Scheiben prasselten. Fae las die ersten zweihundert Seiten des Buches Die Nebel von Avalon , kochte sich und Henry eine Suppe, sah die Langfassung von Der mit dem Wolf tanzt und glaubte zu träumen, als die Uhr ihr sagte, es sei noch nicht einmal fünfzehn Uhr.
Okay, du bist auch seit halb sechs wach. Aber ohne Kjell dauert jede Stunde eine Ewigkeit. Du bist wegen ihm zu einem verliebten Backfisch mutiert, dem die Hormone in den Ohren gluckern.
Momentan gab es drei gute Dinge, die für den Erhalt ihrer guten Laune sorgten. Erstens: Alexander war endlich zu seinem inneren Gleichgewicht zurückgekehrt. Zweitens: Er hatte sich mit Kjell ausgesöhnt, nachdem sich beide wochenlang entweder ignoriert oder mit spitzen Bemerkungen überschüttet hatten. Und drittens: Rembrandt ging es blendend. Seit Tagen klebte der Kater praktisch an ihr oder schien zumindest mit einem unsichtbaren Gummiband an sie gebunden zu sein.
Er folgte ihr wie ein Schatten, rollte sich selbst auf ihrem Schoß zusammen, wenn sie auf der Toilette saß, und kannte keine Situation, die es nicht erforderte, anwesend zu sein. Selbst wenn Kjell und sie sich durch die Betten jagten und ihrem Hunger nacheinander freien Lauf ließen, hockte Rembrandt in unmittelbarer Nähe zum Geschehen und starrte sie aus riesigen Augen an. Fehlte nur noch, dass er Schilder mit Bewertungsnummern hochhielt.
Als Henry sah, wie sie sich gemeinsam mit Rembrandt auf dem Sofa hin und herdrehte, holte er nach Jahren wieder die alte Fidel seines Onkels heraus und spielte eines seiner schiefen Seemannslieder. Dabei kreiste er wie ein eingesperrter Tiger durch das Wohnzimmer, schüttelte das wirre Haar und sang.
Henrys Stimme war grauenvoll, aber sie passte zu einem Seemannslied wie sein vom Scotch herrührendes Lallen. Fae überwand sich und begleitete ihn lautstark. Rembrandt suchte mit erhobenem Schwanz das Weite.
„There was a little ship
and she sailed on the sea
and the name of the ship was the Turkish Revelry
she sailed down in that lonely lonesome water
she sailed on the lonesome sea.”
Es war ein langes Lied, und als sie zur letzten Strophe kamen, wurde ihr flau im Magen. Henry sang allein die letzten Zeilen, begleitet vom Kreischen und Quietschen seines altersschwachen Instruments.
„He bowed on his breast
and downward sunk he
bidding a farewell to the Golden Willow Tree
he sunk in that lonely lonesome water
he sunk in the lonely sea.”
Das Gefiedel endete abrupt, nur noch das endlose Tröpfeln des Regens war zu hören. Es regnete seit Tagen ununterbrochen. Alexander tätigte zusammen mit Ukulele seit dem frühen Morgen irgendwelche Erledigungen. Sie hatten Kjell am Lough Corrib abgesetzt, wo er stundenlang unterzutauchen pflegte und versuchte, sich von seiner Sehnsucht nach dem Meer abzulenken.
Fae verfluchte ihre Beine, wünschte sich einen Fischschwanz und zog sich die Decke bis zu den Ohren hoch. Zu gerne würde sie einmal durch die dunklen Tiefen des Sees schwimmen, seine Inselchen umrunden und die Geheimnisse unter Wasser erforschen, anstatt hier herumzuliegen und Löcher in die Luft zu starren.
Sie vermisste Kjell.
Die Sehnsucht nach ihm wurde im Laufe der Zeit nicht weniger, sondern nur noch stärker.
Wo sollte das nur enden?
Als sich auch noch Henry vor ihr aufbaute und aussah, als hinge ihm eine geschälte Zitrone in der Kehle quer, gab Fae ein genervtes Stöhnen von sich.
„Süße, hast du schon mal darüber nachgedacht, ob wir jemals wieder zurückgehen können? Wie stellst du dir die weitere Entwicklung vor?“
Fae grummelte etwas vor sich hin und schloss
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