Die Seele des Ozeans
gehe. Bitte.“
Kjell spürte, wie er nickte. Angus’ Worte wehten durch seine Erinnerung, doch sie waren fern und blass. Nicht viel mehr als Nebel in der Sonne. Langsam löste er sich von dem Felsen, wich im Wasser zurück und überließ sich der Verwandlung. Die Stacheln bohrten sich durch sein Rückgrat, Sprenkel und Streifen leuchteten im Mondlicht auf seiner Brust und den Armen, der Fächer seiner Fluke zeichnete sich deutlich sichtbar unter den Wellen ab. Genauso wie die beiden kleineren Flossen links und rechts an seiner Hüfte. Er hörte Faes leises Wimmern.
Sie stand auf, schlug beide Hände vor das Gesicht – und weinte.
Fürchtete sie sich? War sie entsetzt?
Nein, Kjell empfing nichts dergleichen. Verwirrt verharrte er an Ort und Stelle und bewegte die Flosse langsam auf und ab, um sich über Wasser zu halten.
Bis Fae vom Felsen sprang.
Ein lautes Platschen, Salzwassertropfen in seinen Augen, dann warme Menschenarme, die sich um seinen Hals legten. Sie grub ihre Finger in seine Haare, lachte und weinte zugleich und schlang ihre Beine um seine Hüfte. Damit sie sich nicht stach, legte er die scharfen Giftstachel entlang seiner Wirbelsäule so eng wie möglich an die Haut. Zart wie Seegras glitten ihre Hände über seine Haut, ohne dabei in die Nähe der Stacheln zu kommen, als wüsste Fae instinktiv, dass sie gefährlich waren.
Kjell hielt den Atem an, als ihre Finger entlang seiner Taille und Hüften nach unten tasteten und über die schuppige Fischhaut strichen. Warum fürchtete sie sich nicht?
Warum schreckte sie nicht vor ihm zurück? Behutsam legte er seine Arme um sie, hielt sie beide über Wasser und versuchte, nicht an den Schleier des Todes zu denken, der ihren Körper umhüllte. Wieder und wieder strich Fae über sein Gesicht, als fürchtete sie, er könnte verschwinden wie ein Geist aus einem Traum. Niemals hatte er sich so lebendig, so wirklich gefühlt – und zugleich so elend. Er wollte mehr von ihren Berührungen, viel mehr, aber jeder ihrer Atemzüge und jeder Herzschlag brachte das Ende näher. Faes Körper zitterte in seiner Umarmung, ihre Lippen wurden blau.
Es ist zu kalt für sie.
Sie muss aus dem Wasser. Zurück an Land.
Vorsichtig trug er das schlotternde Bündel in seinen Armen zum Strand. Fae schluchzte, dass es sie nur so schüttelte, und als sie tropfend und zähneklappernd vor ihm im Sand saß, wusste er weder aus noch ein vor Mitgefühl.
Gequält schloss er die Augen, während Fae ihn erneut berührte. Sie tastete mit heißen, zitternden Fingern über Brust, Hüfte und Fluke, zog zärtlich die Konturen einzelner Schuppen nach und weinte unaufhörlich.
„Du musst dich aufwärmen.“ Wie fremd seine Stimme klang. Er hörte sie viel zu selten. „Geh rein und setz dich ans Feuer.“
„Komm mit“, flehte sie. „Ich habe tausend Fragen an dich. Ich will alles über dich wissen. Du darfst nicht verschwinden.“
„Aber ich muss.“
Weil ich nicht zusehen will, wie du stirbst.
„Verlass mich nicht. Nicht jetzt. Bitte komm mit.“
Er sah sie nur verzweifelt an und glitt ein Stück von ihr fort. Unangenehm rau schrammte der grobe Sand über seine Hüfte, dort, wo sie ihn gerade noch sanft berührt hatte.
Es ist auch so schon schwer genug. Lass mich gehen.
„Siehst du den Felsen da hinten?“ Fae deutete ins Dunkel hinein. „Den kleinen zwischen den beiden großen?“
Er konnte nicht anders, als zu nicken.
„Ich werde ein paar Sachen für dich dort hinlegen und lasse die Tür auf. Mein Zimmer ist ganz oben unter dem Dach, du siehst die Treppe, wenn du reinkommst. Und pass auf, dass die Jungs dich nicht sehen.“
Kaum tauchte er in das Wasser ein, spürte er eine Strömung, die an ihm zog.
Ich werde sie sterben sehen und selbst noch viel kränker werden.
Ich will bleiben und verschwinden. Ich will beides.
Warum?
Sein ganzer Körper verkrampfte sich. Er spürte, wie er nickte, und dann war da nichts als Wasser. Er tauchte tief und schwamm weit, versuchte einen schwachen Moment lang, einfach zu vergessen. Sein Fieber mit Kälte auszulöschen, die Erinnerung an ihre Nähe mit der weiten See, die Wildheit ihrer Gefühle mit Salz.
Zu spät.
Es drängte ihn zurück. Immer heftiger, je weiter er schwamm.
Wie viel Zeit blieb Fae noch? Ein Tag, zwei Tage? Vielleicht nur eine Nacht? Und was dann? Vielleicht würde er nicht loslassen können.
Vielleicht …
Ein unbedeutendes Menschenwort. Nur Meeresschaum in der Hitze eines Sommertages. Selbst wenn ihnen nur
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