Die Seele des Ozeans
Buch zu und warf es mit einem wütenden Schnaufen in die Nachttischschublade.
Komm wieder auf den Teppich. Das sind nur ein paar Seiten Papier. Druckerschwärze und Papier. Weiter nichts.
Unten erklang lautes Tellergeklapper. Er hielt sich die Ohren zu, doch Faes „Das Essen ist fertig“ hörte er dennoch. Und zwar so laut und deutlich, als stünde sie neben ihm.
Schluss! Aus! Das war endgültig genug! Sein Magen fühlte sich an, als hätte er seit Tagen nichts mehr zwischen die Zähne bekommen. Wie waren ihre Worte gewesen? Irgendein Erbe, das erwachte. Das Erbe eines Fisches? Er zeigte sich im Spiegel selbst einen Vogel, atmete tief durch und wandte eine dieser Konzentrationsübungen an, die Daniel ihm vor seinem ersten öffentlichen Auftritt gezeigt hatte, um das Lampenfieber unter Kontrolle zu bringen. Tief einatmen, tief ausatmen. Nichts weiter spüren als das Fließen, das Hinein und das Hinaus des Atems.
Ja, das half.
Es gab keine Meermenschen. Ausgeschlossen. Überall auf der Welt war er getaucht, hatte die letzten Naturrefugien dieses Planeten erforscht und war in die tiefsten Gräben getaucht, aber ein solches Mysterium war ihm nie begegnet. Fae war alt und verträumt. Er würde sich nach jemandem umsehen müssen, der sich um sie kümmerte. All die Zeit allein in diesem Haus hinterließ Spuren in ihrer Gesundheit. War es ein Wunder, dass die Fantasie seiner Mutter die sonderbarsten Ausflüge unternahm?
„Und?“, fragte Fae, als er die Treppe hinuntertaumelte. „Wo bist du gerade?“
„Äh, was?“ Sein Gehirn pulsierte. War ihre Stimme eben noch klar und deutlich gewesen, schien sie nun aus weiter Ferne zu kommen.
„Du siehst nicht gut aus, mein Junge. Alles in Ordnung?“ Mütterliche Sorge verdunkelte ihre Augen. „Du kannst mit mir über alles reden. Das weißt du doch, oder?“
„Ja, weiß ich.“ Düfte stiegen ihm in die Nase. Das Fleisch sah grandios aus. Die Bohnen und Kartoffeln nicht weniger. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. „Es ist alles bestens. Ich habe aufgehört, als sie ihn zum ersten Mal so sieht, wie er wirklich ist. In der Nacht am Felsen.“
Fae gab einen Laut von sich, der nach kläglichem Schluchzen klang. Als sie sich setzte und die Kartoffelschüssel zu ihrem Teller zog, sah er Tränen in ihren Augen.
„Mum?“
„Es ist nichts.“ Ihre gesamte Körpersprache strafte die Beschwichtigung Lügen. „Ich bin nur … ich habe … es sind die Erinnerungen. Die Nacht, von der du gelesen hast, sie …“ Ihr entglitten die Worte. Hastig tat sie drei Kartoffeln auf ihren Teller, schob ihm die Schüssel zu und wischte sich mit dem Ärmel über die feuchten Augen. „Sie war etwas ganz Besonderes.“
Kjell zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihm übel vor Sorge wurde. Sie glaubte wirklich daran. Sie hielt ihre Geschichte für wahr.
„Dein Meermann wird also zurückkommen?“
„Ja.“ Fae seufzte. Soviel Sehnsucht lag in diesem Laut, dass die Übelkeit seinen Appetit gänzlich aufzehrte. Aller Hunger war wie weggeblasen. Lustlos ließ er die Gabel mit den aufgespießten Bohnen vor seinem Mund schweben. Was sollte er tun? Was sollte er sagen?
„Er kommt zurück“, wisperte Fae. „Damals wie heute.“
„Und was ist mit Alexander und seinen Freunden?“ Kjell zwang sich, die Bohnen in den Mund zu schieben. Sie schmeckten so gut, wie sie aussahen, aber das flaue Gefühl in seinem Magen hielt sich hartnäckig. „Sie haben ihn gefilmt, oder nicht? Das dürfte kritisch werden.“
Würde ich es geheim halten? , fragte er sich im gleichen Atemzug. Ganz sicher. Ich weiß doch, was geschehen würde. Andererseits wäre das schon ziemlich grandios.
Fae sah ihn an, als lese sie seine Gedanken. Schließlich zuckte sie mit den Schultern: „Lies einfach weiter, mein Sohn.“
„Du bist eine gnadenlose Göttin deines Universums“, versuchte Kjell zu scherzen. „Es gibt für ihn keine richtige Entscheidung. Zu ihr zurückzugehen, bedeutet, sie sterben zu sehen. Dann ist die Menschenfrau unglücklich, weil sie ihm Schmerzen bereitet. Und er ist unglücklich, weil er sie nicht retten kann. Ziemlich verzwickt.“
„Die richtige Entscheidung?“ Fae legte ihr Besteck zurück auf den Tisch und starrte ihn an, als begänne er zu leuchten wie eine Wunderlampe. „Junge, die Antwort darauf sitzt doch vor mir. Ja, es war die richtige Entscheidung. Auch wenn sein Opfer zu groß war. Ich wünschte, ich hätte ihm helfen können.“
Kjell blieb das gerade geschluckte Fleisch
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