Die Seele des Ozeans
noch schlafen wollen. Es fühlt sich gut an.“
„Ja, das weiß ich. Aber was kommt danach?“
Kjell steckte beide Arme unter die Decke und zitterte, als würde er frieren. Ehe Fae wusste, wie ihr geschah, war sie noch näher an ihn herangerückt, breitete ihre Decke aus und legte ein Ende um seine Schultern. Die dünne Wolle, die seinen Körper bedeckte, war völlig durchweicht. Vermutlich war er eiskalt. Kjell stieß einen leisen, erschrockenen Laut aus und erstarrte, aber er wich nicht vor ihr zurück.
„Du bist zu mir gekommen“, sagte Fae ganz nah an seiner Wange. „Und deswegen bist du mir ein paar Antworten schuldig. Ich lasse dich nicht gehen, ehe ich nicht weiß, wer du bist. Das hast du nun davon.
Klar soweit?“
Fae schnupperte nach dem Duft seiner Haut. Sie waren sich so nah, sie berührten sich und saßen unter der Decke wie ein Liebespaar. Doch Kjells Körper bebte vor Anspannung und machte Faes Hoffnung, ein wenig körperliche Manipulation könnte seine Zunge lösen, schnell zunichte. Es war, als kauere ein fluchtbereites Tier neben ihr, das sich nur berühren ließ, weil es von soviel Annäherung völlig überrumpelt war.
„Wer bist du?“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Woher kommst du?“
„Du weißt, woher ich komme.“
Ein hauchfeines Zittern lag in seiner Stimme. Er wagte es nicht, den Kopf zu drehen, denn dann wären sich ihre Gesichter zu nahe gekommen. Fae hob eine Hand und berührte sein nasses Haar. Es war wirklich silbern. Weißsilbern wie das Mondlicht auf den Wellen.
„Das weiß ich nicht“, raunte sie zurück.
„Das Haus auf den Klippen.“
„Dieses Haus, wie du es nennst, steht seit Jahrzehnten leer. Es ist nur noch ein Schutthaufen. So wie ich das sehe, kommst du aus dem Meer.“
Sie neigte den Kopf und schmiegte ihre Wange an seine Schulter. Ein Prickeln zog durch ihre Nervenbahnen, als flösse Niedrigstrom durch ihren Körper. Fast meinte sie, wieder einen Hauch Kälte zu spüren. Salzige Nässe brannte auf ihrer Haut, in ihrer Nase lag der Geruch nach Meer und Frost. „Sag schon! Du kommst aus dem Meer, habe ich recht? Ist das so?“
Kjell regte sich in ihrer Umarmung. Sie spürte, wie seine Muskeln sich anspannten, dann entwand er sich plötzlich ihrem Griff, schnell und geschmeidig wie ein Fisch. Sein Blick wirkte gehetzt, als er lautlos in die Dunkelheit zurückwich und die Decke von seinen Schultern streifte. Nackt und leuchtend weiß stand er in der Dunkelheit.
Eine rationale Erklärung? Nein, unmöglich.
Fae hob einen Arm und streckte ihm drohend ihren Finger entgegen. „Du wirst nicht verschwinden! Nicht, ohne mir zu sagen, wer du wirklich bist.“
Kjell wich weiter vor ihr zurück. Selbst aus der Entfernung sah sie das türkisfarbene Funkeln seiner Augen. „Es ist nicht gut. Ich hätte nicht kommen dürfen.“
„Warum ist es nicht gut? Warum verfolgst du mich? Antworte mir endlich!“
Er schüttelte den Kopf und wich noch weiter zurück. Sein helles Schimmern verschmolz mit der Nacht und dem Mondschein. „Es tut mir leid, Fae.“
Damit wandte er sich um und lief davon. Ein kurzes Aufblitzen von spritzendem Wasser – und Kjell war verschwunden. Fae spürte den Würgegriff von Enttäuschung, tiefer Verwirrung und Wut. Es gab keine rationale Erklärung für Kjell. Er war alles, nur kein gewöhnlicher Mensch. Aber was war er dann?
Sie wickelte die Decke wieder um ihre Schultern und blieb so lange am Feuer sitzen, bis es heruntergebrannt war. Dann schüttete sie Sand auf die Glut, packte ihre Sachen zusammen und brachte alles ins Haus. An Schlaf war nicht zu denken. In ihr brodelten Verwirrung und Wut, vernichteten jede Aussicht auf Ruhe und trieben sie wieder hinaus an den Strand. Auf einen Felsen gekauert, ließ sie ihrem Zorn freien Lauf. Verschwunden war das flüchtige Hochgefühl, verschwunden der Zauber.
Zurück blieb nur die Gewissheit, dass sie keine Zeit mehr hatte. Und dass sie rein gar nichts mehr verändern konnte.
~ Kjell ~
Vorsichtig pirschte er sich heran, Felsen für Felsen, bis er so nah war, dass der Wind ihren Duft herantrug. Feuerrauch und Meeresschaum. Eine Spur Gewürze und Schokolade. Sie roch so, wie sie schmecken würde. Ihre Gefühle loderten wilder als je zuvor. Sie brannten so wütend und verzweifelt, dass sie ihn einfingen und noch näher an sie heranzwangen. Näher und näher.
Kjell leitete die Verwandlung ein, führte sie jedoch nicht zu Ende. Es genügte, wenn sein oberer Teil menschlich aussah. Keine
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