Die Seele des Ozeans
Fuß auf. „Es gibt sie nicht. Schluss und Aus. Lasst uns jetzt bitte wieder wie normale, gefestigte Menschen denken.“
„Wie langweilig“, warf Ukulele ein.
„Fakt ist“, verkündete Henry, „wir haben eine Meerjungfrau gefilmt, und da Fae mehr über dieses Ding weiß als wir, solltest du sie befragen. Immerhin hat sie ihn letztens zum Tee eingeladen.“
„Stimmt.“ Ukuleles Augen leuchteten verdächtig. „Die beiden kennen sich. Sag ihr, sie soll ihn wieder herschaffen.“
„Ich soll sie fragen, ob ihr geheimnisvoller Retter Flossen hat?“
„Ja“, antworteten Henry und der Hawaiianer synchron. „Sollst du.“
„Bist du dir sicher, dass diese Aufnahmen echt sind?“
Henry tippte sich an die Stirn. „Entschuldige mal, wir haben sie selbst aufgenommen.“
„Du hast sie aufgenommen.“
„Was soll das heißen? Dass ich euch verarsche?“
„Nein.“ Alexander stöhnte auf. Jeden Augenblick würde er restlos den Verstand verlieren. „Es gibt trotzdem keine Meerjungfrauen.“
„Ich kann dir nur drei Dinge sagen.“ Henry schlug seine flachen Hände mit lautem Knall auf die Tischplatte. „Erstens, diese Aufnahme ist echt. Ich erzähle euch keinen vom Pferd. Zweitens, das da ist kein Kostüm und keine 3-D-Projektion. Drittens, ich habe diesen Arm und diese Hand selbst gespürt. Ich habe einen Körper an meinem gespürt, und er bewegte sich genauso, wie sich eine Meerjungfrau bewegen würde. Wellenförmige Bewegungen, kein Beingestrampel.“
„Ja“, platzte es aus Alexander heraus. „Trotzdem kann es nicht sein. Das ist, als würdet ihr an Einhörner glauben. Oder an Kobolde.“
„Ich bin auf Hawaii groß geworden“, warf Ukulele ein. „Meine Großmutter glaubte noch an ganz andere Sachen. Ihr Haus war bis zur Decke voll mit dem verrücktesten Krimskrams, den ihr euch vorstellen könnt. Jedes Jahr opferte sie dem Vulkangott ein Brathähnchen. Also wenn du mich fragst, ob ich es wirklich in Betracht ziehe, dass es Meerjungfrauen da draußen gibt, dann sage ich ja. Und wenn du mich fragst, warum, dann antwortete ich: Warum nicht?“
„Du nimmst es also einfach hin, dass die Welt der Wissenschaft mir nichts, dir nichts auf den Kopf gestellt wird? Dass alles, was wir für real gehalten haben, vielleicht gar nicht real ist, und dass jedes verdammte Märchengeschöpf möglicherweise wirklich da draußen herumläuft oder herumschwimmt?“
„Ja“, wiederholte Ukulele. „Meiner Großmutter sei Dank.“
„Geh hoch und frage Fae.“ Henry stand auf, packte ihn bei den Schultern und schob ihn in Richtung Tür. „Mach schon. Geh!“
„Das ist völlig bescheuert. Ich soll sie fragen, ob …“
„Geh!“ Plötzlich wurde er von vier Händen nach draußen bugsiert. Alexander brodelte vor Zorn und Verwirrung, doch er stieg Stufe für Stufe die Treppe hinauf.
Ich soll meine Schwester fragen, ob ihr neuer Bekannter ein Fisch ist?
Das ist doch hirnrissig. Was mache ich hier eigentlich? Es muss eine Fälschung sein. Wahrscheinlich verarscht Henry uns. Das muss es sein. Er lacht sich schlapp, weil wir so dämlich sind und daran glauben. Nein, falsch! Ukulele glaubt daran, ich nicht. Es gibt keine Meerjungfrauen. Das ist Schwachsinn.
Alexander stapfte weiter die Treppe empor.
„Schwachsinn, Schwachsinn, Schwachsinn“, murmelte er bei jeder Stufe. „Ich krempel Henry das Innere nach außen. Das werde ich tun. Dieser Idiot. Dieser Vollpfosten.“
Ein paar geschickte Griffe, die er während seiner Reisen gelernt hatte, und dieser Scherzkeks würde um Gnade winseln. Henry war schuld an diesem ganzen Schlamassel. Er hatte sie in Lebensgefahr gebracht, er hätte sie beide beinahe getötet, und jetzt führte er sie auch noch an der Nase herum. Alexander sah rot vor Wut. Abrupt drehte er sich auf dem Absatz um und wollte sich aufmachen, Henrys Hintern bis zum Atlasknochen aufzureißen, als er leises Keuchen hörte, vermischt mit Seufzen und Wimmern.
Oh nein, Fae! Sie hatte wieder einen Anfall!
Panik quetschte ihm das Herz zusammen. Der letzte Anfall war schlimm gewesen, jeder weitere konnte ihr letzter sein. Er riss die Tür so heftig auf, dass sie scheppernd gegen die Wand knallte, wollte auf Fae zustürmen und hielt mitten in der Bewegung inne.
Seine Schwester stand zusammen mit einem Mann vor dem Fenster, beide in inniger Umarmung. Er sah unwirklich weiße Haut, türkisfarbene Augen und silbernes Haar.
„Hei-li-ger Stroh-sack!“ Alexander schwankte. Nein, er sah Gespenster. Er
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