Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
jeden. Denn: Bis zu 25 % der Beschuldigten waren Männer. Und es waren auch keine Millionen, die der Hysterie zum Opfer fielen. Heute schätzt man ungefähr 60 000 bis 100 000 unschuldig Gerichtete in ganz Europa, davon ca. 20 000 in Deutschland.
Das kommt uns Heutigen monströs, unglaublich und absurd vor. Aber wir müssen uns eines vor Augen halten: So, wie wir heute wissen, dass es Vitamine gibt, obwohl keiner von uns jemals eines gesehen hat, so wussten die Menschen damals, dass Hexen existierten. Es war eine allgemein akzeptierte Wahrheit, gestützt und propagiert von allen Autoritäten der Zeit. Niemand, auch nicht die Gegner der Hexenverfolgungen, wäre ernsthaft auf die Idee gekommen zu bestreiten, dass es Hexen gab, die durch Zauberei der Menschheit Schaden zufügten. Und nur, wenn wir uns in diesen »Zeitgeist« hineinversetzen können, haben wir die Chance zu verstehen, was damals geschehen ist.
Warum gerade Frauen die hauptsächlichen Opfer des Hexenwahns wurden, liegt im Wesentlichen begründet in der Geringschätzung der Frau in der christlichen Theologie: Die Frau ist Trägerin der Erbsünde. Sie ist leicht verführbar, tendenziell böse und schwach im Glauben. Doch das ist nicht alles. Im Jahr 1487 erscheint eines der perfidesten Bücher der Weltliteratur: der »Malleus Maleficarum« des Dominikanermönchs und Inquisitors Heinrich Institoris (Kramer), bekannt geworden als »Hexenhammer«. Das perverse Frauenbild, das in diesem »Handbuch« der Hexenverfolgung propagiert wird, entspringt deutlich der kranken Psyche eines Mannes, der mit dem Zwang zum Zölibat und der eigenen unterdrückten Sexualität nicht zurechtkam. An diesem »Bestseller« des 15., 16. und 17. Jahrhunderts orientieren sich Generationen von Hexenrichtern.
Was die damalige Prozess- und Strafpraxis angeht: Die Tortur war ein zulässiges juristisches Mittel zur Erlangung eines Geständnisses. Das geltende Strafrecht regelte den Einsatz der Folter in ihren verschiedenen Graden und der zeitlichen Dauer genau. Doch weil Hexerei ein »crimen exeptum«, also ein Sonderverbrechen darstellte, konnte man die juristischen Vorschriften außer Kraft setzen, und es kam zu den grausamsten Exzessen. Der Tod durch das Feuer sollte im Übrigen keine besondere Unmenschlichkeit darstellen. Verbrennen war lediglich die traditionelle Hinrichtungsmethode für Ketzer. Dahinter steht die Vorstellung, dass Feuer den Menschen von der Sünde reinigt.
Unter dem Einfluss besonders der Schrift »Cautio Criminalis« des Jesuitenpaters Friedrich Spee kam es in Deutschland ab den 1630er Jahren zu einer Eindämmung, aber noch nicht zum Ende der Hexenprozesse. Erst die Aufklärung bedeutete das Ende der Hexenjagden. Nach 1700 hörten in den protestantischen Regionen die Verfolgungen schlagartig auf. So wurde z.B. in Preußen zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Folter verboten, die ja eine der Grundvoraussetzungen dafür war, dass es überhaupt zu den Geständnissen und Beschuldigungen durch die vermeintlichen Hexen kam. In den katholischen Gegenden dauerte die Verfolgung länger an. Die letzte Hinrichtung einer Hexe in Deutschland fand 1775 in der Fürstabtei Kempten statt.
Ich habe lange überlegt, wo ich meinen Roman ansiedeln soll, und habe mich schließlich für Bamberg entschieden. Nicht, weil ich selber Fränkin bin, sondern weil Bamberg als katholisches Fürstbistum eines der Zentren der Hexenverfolgungen war. Und weil dort die Quellenlage einmalig gut ist. Durch einen beinahe unglaublichen Zufall sind uns die kompletten Hexenakten aus dem 17. Jahrhundert erhalten geblieben. Folterprotokolle, Testamente, Geständnisse, Urteile, Gnadenzettel, Brennholzrechnungen, Speisezettel, Briefe und Anklageschriften. Diese Papiere wurden um 1830/40 vom Bamberger Landgericht bei einer Entrümpelungsaktion auf dem Schrannenplatz als Anschürpapier versteigert. Ein Seifensieder und Spezereiwarenhändler namens Beyer erstand das »Altpapier«, um es zum Einwickeln seiner Waren zu verwenden. Ein Kunde, der historisch interessierte Adam Messerschmitt, stellte kurze Zeit später fest, dass die Nägel, die er gerade gekauft hatte, in einer Tüte aus alten Hexenakten verpackt waren. Er kaufte Beyer das gesamte noch vorhandene Material ab. Seine Erben vermachten später alles der Staatsbibliothek Bamberg, wo sich noch heute der überwiegende Teil der Prozessunterlagen befindet.
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, solche Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit in
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