Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
den Händen zu halten. Verblichene Schrift auf knittrigem Papier, der typische Geruch uralten Staubs, Buchstaben, hingemalt von Schreibern, Richtern, manchmal von den Opfern selbst. Und immer wieder springt einem ein Wort entgegen, das damals in aller Munde war, das Wort: »Zauberey« .
Manches lässt sich nur schwer entziffern, manches leicht. Es liegt nicht nur an der alten Schrift, die so ganz anders ist als alles, was wir heute gewöhnt sind. Es liegt auch an der Sprache der Vergangenheit. Man muss sich einfühlen, Übung bekommen. Mit der Zeit tut man sich leichter. Und irgendwann erkennt man schon an der Schrift einen bestimmten Protokollanten, an der äußeren Form die Art der Quelle.
Meist beginnen die Folterprotokolle mit einem Datum auf der linken Seite des Blattes: »Den 23. Novembris 1629«. Und dann, es läuft einem kalt den Rücken hinunter, liest man darunter das Wort: »Daumenschrauben«.
In derselben Zeile beginnend, folgt auf der rechten Hälfte des Schriftstücks ein fortlaufender Text, so zum Beispiel: »In loco torturae Anna Schüblin nit verhört, sondern sofort die Daumen geschraubt, bis nachts auf dem Bock gesessen, hat alles nichts gefruchtet.«
Auch wenn ich mich eigentlich als »abgebrühte« Historikerin sehe, so weiß ich noch, wie mich die Lektüre solcher Folterprotokolle mitgenommen hat. Es entrollt sich eine Chronik des Leids und der Qual, die Geschichte eines Menschen, dem Entsetzliches angetan wird: »Den 23. Novembris 1627. Bockh … das Weyb mit Ruten gestäubt und dann wider in den Bockh gespannt, den ganzen Tag darin, hat nichts bekannt. Sagt, sie kenne kein Zauberey und hett mit dem Teuffel nichts zu schaffen.
Den 25. Novembris. Bockh. … die Schüblin widrum den gantzen Tag uff das Pferd gesetzet und gerüttelt, hat abermals nichts bekannt.
Den 13. Decembris. Beynschrauben. Zug. … nach den Beynschrauben an den Armen aufgezogen, schreit sie könne und wisse nichts Gott der Her Jesus Christ solle sie nit verlassen.
Den 8.Januar 1628. Bockh. … gütlich vernomen, wil nit geständig sein; sondern gar rein; darauf ist sie in den Bock gespant worden und den ganzen Tag und Nacht darin gesessen.
Den 15.Januar. Zug. … abermals auffgezogen und gestäupt, sehr schwach gewest dennoch nichts bekannt.
Den 23.Januar. Geschoren. 1 ½ Stunden Bockh. Bleibt verstockt.
Den 26.Januar 1628 … in carcere mortua.«
Dies ist nur ein Beispiel unter vielen, und bei weitem nicht das schlimmste.
Ich bin im vorliegenden Roman zum ersten Mal von meiner bisherigen Praxis abgewichen, eine Person zur Hauptfigur zu machen, die wirklich gelebt hat. Der Grund ist ganz einfach: Wer damals in die Mühlen der Hexenprozesse geriet, für den gab es kein Entkommen, kein »Happy End« mehr. Ein reales Vorbild als Protagonistin hätte also unweigerlich nicht überleben können. Es schien mir angesichts der Düsternis und Schwere des Themas jedoch zu schlimm, meinen Lesern auch noch einen schlechten Ausgang des Romans »aufzubürden«. Deshalb habe ich die Figur der Johanna Wolff erfunden. Sie darf am Ende weiterleben. Die Geschichte ihrer Schwester Dorothea Flock ist allerdings wahr bis hin zum bitteren Ende und dem Trick des Fürstbischofs, das rettende Mandat zeitlich verzögert entgegenzunehmen. Auch der Beginn der Bamberger Hexenjagd durch die pubertären »Spinnereien« des Hansi Moorhaupt ist authentisch, ebenso der Fall des Kanzlers Haan und seiner Familie und die Geschichte der im Buch erwähnten Räte. Die Bamberger Hexenprozesse waren tatsächlich zum großen Teil eine politische Säuberungsaktion. Die Namen von Opfern im Roman, z.B. die Ganswirtin Barbara Schwarz, die »alte Rieglin« oder Adam Rehm sind den Totenlisten der historischen Sekundärliteratur entnommen. Anna Maria Junius, Tochter des hingerichteten Bürgermeisters und Nonne bei den Dominikanerinnen, ist historisch, nicht allerdings ihre Lebenserinnerungen. Die Jahrbücher des Collegiums der Gesellschaft Jesu in Bamberg sind heute noch vorhanden, allerdings entstammen die im Buch erwähnten Passagen meiner Phantasie. Genauso wie Caspar, der Mohr.
Die Rolle des Fürstbischofs Fuchs von Dornheim als »Hexenbrenner« ist unstrittig. Seine Skizzierung als tiefgläubiger, machtgieriger und charakterschwacher Mensch, der mit Depressionen kämpft, ist meine Interpretation seines Charakters. Wichtiger als Impulsgeber und Antreiber der Hexenprozesse in Bamberg war, darüber ist sich die Forschung einig, der Weihbischof Friedrich
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