Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
mit Zauberei zu erklären. Und vielleicht lag man in vielen Fällen auch gar nicht so falsch damit. Denn in einer Gesellschaft, die an Hexerei glaubt, wird solcher Glaube seine Wirkung nicht verfehlen. Wenn wir der Überzeugung sind, dass Hexen existieren, und uns einbilden, dass jemand des Nachts bei Vollmond Zaubersprüche über unseren abgeschnittenen Fingernägeln murmelt, so fühlen wir uns möglicherweise am nächsten Tag sehr elend. Und die Tatsache, dass die Symptome psychosomatischer Art sind und eine organische Ursache sich nicht finden lässt, wird uns in der Annahme, wir seien Opfer von Hexerei geworden, nur bestätigen. Todesfälle aufgrund von Sich-verhext-glauben sind von Anthropologen noch zur heutigen Zeit bei Naturvölkern in Afrika dokumentiert. Der durch die Todesangst ausgelöste akute Stresszustand führt zu hormonalen Veränderungen im Adrenalinausstoß, beeinträchtigt Blutdruck und Herzfrequenz. Halten sich diese Funktionsstörungen über einen längeren Zeitraum, so resultieren daraus schwere organische Beeinträchtigungen, die in extremen Fällen durch den immer weiter absinkenden Blutdruck tödlich ausgehen können. Die Opfer »fürchten sich«, wenn man so will, »zu Tode«.
So ungefähr könnte es in den Köpfen der Menschen im 17. Jahrhundert ausgesehen haben.
Auch mich hat schon während meines Studiums das Thema Hexenverfolgungen gepackt und seither nicht mehr losgelassen. Die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Hexenwahn war meine Magisterarbeit über die Salemer Hexenjagd im puritanischen Amerika des ausgehenden 17. Jahrhunderts.
Als ich Jahre später im Schwabacher Stadtmuseum arbeitete und herausfand, dass es auch in meiner Heimatstadt Hexenverbrennungen gegeben hatte, machte ich mich denn auch sofort an die Erforschung dieses noch wenig bearbeiteten Themas. Die Ergebnisse landeten in einem Fachartikel, auf den ich damals oft angesprochen wurde.
Und als ich schließlich noch später gebeten wurde, eine Stadtführung zu konzipieren, gehörte das Thema Hexen natürlich dazu. Eigentlich sollte es nur eine von vielen Erzählstationen zur Stadtgeschichte der frühen Neuzeit sein. Doch dann wurde die Zeit, in der ich mit meinen Gruppen auf dem ehemaligen Lazarusfriedhof neben der Stadtkirche stand und über Hexen sprach, immer länger. Jedes Mal, wenn ich über Folter, Prozess und Brandgericht erzählte, ging ein spürbarer Ruck durch meine Zuhörer. Emotionen kamen hoch: Ungläubigkeit, Mitleid, Abscheu, ja sogar Wut. Und es prasselten immer mehr Fragen auf mich ein. Das Interesse an der Hexenjagd war unüberseh- und unüberhörbar.
Bei den Gesprächen, die sich dann oft entwickelten, stellte ich allerdings immer wieder eines fest: Mit dem Begriff Hexerei verbinden die meisten Menschen vage Vorstellungen aus dem Bereich des Märchens und der Legende, die der damaligen Wirklichkeit kaum entsprechen. Das beginnt schon mit der vermeintlich einfachen Frage, die ich oft an den Anfang meiner Führungen gestellt habe: Wer oder was war eigentlich eine sogenannte Hexe?
»Eine Hexe, das war eine junge, schöne Frau mit rotem Haar und grünen Augen«, sagte dann meistens jemand.
»Nein, die typische Hexe, das war eine garstige, bucklige Alte mit Warze auf der Nase und Krähe auf der Schulter«, widersprach ein anderer.
»Die hat einen Besen, und auf dem fliegt sie durch die Luft.« Oft waren auch Kinder bei meinen Stadtführungen dabei.
»Jedenfalls waren das alles Frauen, es sollen ja Millionen gewesen sein, die man bei lebendigem Leib verbrannt hat. Ein großes Unrecht der Kirche.«
»Nicht nur der Kirche. Es ging ja auch um die Vernichtung der weisen Frauen durch eine von Männern dominierte Gesellschaft.«
Durch all diese Erfahrungen reifte in mir irgendwann der Gedanke, das vielschichtige Phänomen der Hexenprozesse in Romanform abzuhandeln und damit einer Vielzahl von Lesern auf erzählende Art und Weise nahezubringen, was sich damals in den Köpfen der Menschen, in den Folterkellern und auf den Richtstätten abgespielt hat.
Wie sieht die historische Wahrheit über die Hexen aus? Eine Frau wurde damals nicht zur Hexe, weil sie besonders schön oder hässlich, besonders jung oder alt, besonders reich oder arm, besonders kräuterkundig oder merkwürdig war. Nein: Jede Frau, Sie, liebe Leserin, oder ich, Ihre Nachbarin oder Kollegin, Ihre Tante oder Schwester, ob Kind oder Großmutter – das waren die Hexen der Zeit. Eine Beschuldigung konnte jede treffen. Und
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