Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
dass es große Ärzte gibt, die fordern, man solle die Wirkung neuer Arzneien an Tieren erproben?«
»Aber die Mittel und Kuren deines Vaters haben immer geholfen … «
»Immer? Vieles war sicherlich richtig.« Cornelius wollte seine Mutter nicht verletzen. »Aber, siehst du, heutzutage werden eben gegen die Fallsucht keine jungen Schwalben mehr verabreicht. Da gibt es wirksamere, chymische Stoffe. Und man überlässt das Schneiden auch nicht mehr den Badern und Wundärzten. Wir jungen Ärzte können das selber viel besser.«
Maria Weinmann strich ihrem Sohn liebevoll über die Wange und schmunzelte. »Wie heißt der alte Spruch? Ein junger Arzt braucht drei Friedhöfe«, neckte sie. Dann wurde sie ernst. »Du wirst schon das Richtige tun, mein Lieber. Dein Vater wäre so stolz auf dich, das weiß ich.«
Bamberg, Anfang Oktober 1626
Die Mohrenapotheke lag in der Inselstadt, beim Aufgang zur Oberen Brücke auf der linken Seite. Sie war die jüngste der drei Bamberger Apotheken, außer ihr gab es noch die Hofapotheke an der Schütt, am Fuße des Dombergs, und die Unterapotheke an der Ecke, wenn man von der Unteren Brücke das Zwerchgässlein aufwärts ging. Alle drei hatten ihr gutes Auskommen, war doch Bamberg eine Stadt mit etlichen tausend Einwohnern, und jeder von ihnen hatte seine Gebrechen und Krankheiten, seine Wehwehchen, Gebresten und Leibesplagen, die sämtlich kuriert sein wollten. Wer eine Brustlatwerge oder einen Kräuterzucker, ein Fläschchen Schneckensirup oder Lavendelöl zu kaufen suchte, konnte schon von weitem den armlangen Mohren erkennen, der über dem mittleren der drei Rundbögen im Erdgeschoss thronte, einen wilden Gesellen mit goldener Federkrone, Federrock und Goldstiefeln. In der Linken hielt der Schwarze einen Stößel, mit dem er in einem Standmörser stampfte, um seinen erhobenen rechten Arm ringelte sich eine goldene Schlange. So bewachte die Figur den Eingang, durch den zu treten allerdings nur den Bewohnern des Hauses oder einem der ansässigen Ärzte gestattet war. Gewöhnliche Kundschaft hatte ihr Begehr durch das links neben dem Eingangstor befindliche Verkaufsfenster zu nennen und erhielt dann das Gewünschte aus der Offizin hinausgereicht.
In der geräumigen Wohnküche im hinteren Teil des Apothekerhauses saß die ganze Familie beim Abendessen um den runden Eichenholztisch. Das Feuer auf der Kochstelle flackerte noch und verbreitete angenehme Wärme. Es roch nach gebratenen Zwiebeln, ausgelassenem Speck, sauren Linsen und Kümmelbrot.
Abdias Wolff, immer noch in der Apothekerstracht, dem langen dunklen Umhang mit der typischen runden Mütze, legte den Zinnlöffel beiseite.
»Habt ihr schon gewusst? Der junge Weinmann ist wieder daheim.«
»Der Cornelius?« Johanna, die gerade eine Scheibe Brot mit Schmalz bestreichen wollte, hielt inne. Sie war die älteste Tochter des Apothekers, führte den Haushalt und war ihm eine Stütze im Geschäft, seit ihre Mutter vor Jahren im Kindbett gestorben war. »Na, hoffentlich ist er inzwischen netter als früher.«
»Wieso?« Antoni meldete sich neugierig zu Wort, mit vollen Backen kauend, sodass man ihn kaum verstand.
»Weil der Cornelius Weinmann früher immer alle Mädchen geärgert hat.« Das war Dorothea, das mittlere der Apothekerskinder. »So wie du.«
Antoni kicherte. Der Zehnjährige, ein weißblonder, sommersprossiger Wirbelwind, hatte es faustdick hinter den Ohren; seinen beiden großen Schwestern fiel es oft schwer, ihn zu bändigen. Und der Vater ließ ihm alles durchgehen, weil er seiner verstorbenen Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Jetzt versuchte er gerade, sich einen Schluck Wein aus Johannas Becher zu stibitzen, und sie schlug ihm auf die Finger. Da klopfte es, und unvorhergesehener Besuch trat in die Stube.
Es war Heinrich Flock, Ratsherr und einer der reichsten Kaufleute der Stadt. Er nahm den breitkrempigen Hut ab und kratzte sich etwas verlegen am ergrauten Hinterkopf.
»Ich wollte nicht beim Abendmahl stören. Darf ich mich einen Augenblick zu Euch setzen, Abdias?« Er wechselte einen schnellen, verstohlenen Blick mit Dorothea, auf deren Wangen plötzlich ein paar rote Flecken erblühten.
»Nanu, gibt’s was zu bereden?« Der Apotheker scheuchte Johannas Kater von dem einzigen freien Stuhl, auf dem er sich zusammengerollt hatte, und wies einladend mit der Hand auf die Sitzfläche. »Oder braucht Ihr eine Arznei?«
»Nein, nein, mein Freund, ich bin kerngesund.« Flock ließ sich nieder und
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