Die Seelenjägerin - 1
nahm, konnten tausend Zauber um ihn gesponnen werden, und Colivar hatte nicht die Absicht, sich solchen Angriffen auszusetzen, während er von seinen erbittertsten Gegnern umringt war.
Wie wäre es wohl , überlegte er, wenn wir tatsächlich Herr über das Band wären! Wenn sich der Magister zu einem geeigneten Zeitpunkt von seinem Konjunkten trennen könnte, bevor dessen Athra völlig erschöpft wäre, um dann Zeit und Ort seiner nächsten Translatio selbst zu bestimmen?
Würden wir unsere Konjunkten am Leben lassen? Oder würden wir nur den für uns günstigsten Moment wählen, ohne an die Menschen zu denken, die wir zerstören? Wenn wir unseren Konjunkten nicht mehr zu töten bräuchten, um weiterleben zu können, würden wir es – aus alter Gewohnheit – trotzdem tun? Wären wir vielleicht sogar zu gleichgültig, um diese Gewohnheit zu hinterfragen?
Die Fragen beunruhigten ihn. Aber sie waren auch neu, und Neues war im Leben eines Magisters immer willkommen. Wer so viele Jahre hinter sich hatte wie Colivar, wer sich so völlig abgekoppelt hatte vom Rhythmus eines normalen Menschenlebens, der wusste, dass die größte Gefahr weder von heimtückischen Angriffen durch Rivalen noch von magischen Unfällen drohte – sondern von der Langeweile, von den Streichen, die sich der menschliche Geist selbst spielte, weil es in der Außenwelt nichts gab, womit er sich beschäftigen konnte.
Diese Gefahr ist dann wohl vorerst gebannt , dachte Colivar spöttisch.
Kapitel 9
Aethanus wusste Bescheid, sobald er den Holzstoß sah.
Die Scheite waren zweimal so hoch gestapelt wie sonst und ordentlicher, als es selbst für Kamala üblich war. Der Stapel war fast ein Kunstwerk, die Teile griffen ineinander wie die Steine der Mauer, die sie vor langer Zeit um das Haus herum gebaut hatten, die Enden schlossen in genau gleicher Länge wie an einer imaginären Ebene ab.
Hatte sie überhaupt bemerkt, dass sie ihre Arbeit an diesem Tag anders verrichtete als sonst … und waren ihr auch die Gründe bewusst gewesen?
Ihm schon.
Sie wartete drinnen. Sie sah so sauber und ordentlich aus wie der Holzstoß, das wilde Haar war halbwegs gebändigt, die Kleidung frisch gewaschen, alle Spuren körperlicher Arbeit beseitigt. Als er eintrat, richteten sich die großen Augen auf ihn, und er überlegte flüchtig, wie schön sie war und wie sehr sie ihm fehlen würde. Sie hatte sich sogar die Fingernägel gereinigt, das Erste, was er sie einst lehrte, nachdem er sie nach langem Zögern als Schülerin angenommen hatte.
»Meister Aethanus …«, begann sie.
Er unterbrach sie mit erhobener Hand. »Ich bin durstig, Kamala. Du nicht auch? Die Luft ist heute sehr trocken.«
Er ging an ihr vorbei zur Feuerstelle, wo der Wasserkessel wartete, denn er wollte sich mit irgendeinem Gegenstand beschäftigen, für den er keine Gefühle empfand. Und so spähte er in den Kessel und nickte beifällig, als er sah, wie der Dampf von der Wasseroberfläche aufstieg. Er nahm zwei irdene Becher vom Bord, stellte sie bereit und holte die Büchse mit dem Kräutertee vom Kaminsims. Er gab eine Prise in jeden Becher und brachte die Büchse zurück. Dann nahm er den Kessel vom Feuer, goss langsam heißes Wasser auf die getrockneten Blätter und sah zu, wie sie im Kreis herumgewirbelt wurden.
Schweigend. Ohne zu denken. Ohne zu fühlen.
Als das Ritual endlich vollendet war, nahm er die Becher und reichte ihr den einen. Die winzigen Blättchen gaben langsam ihre Farbe an das Wasser ab, und der Duft der Kräuter erfüllte das ganze Haus.
»Jetzt wirst du mich also verlassen«, sagte er. Keine Frage, eine Feststellung.
Sie nagte an ihrer Unterlippe und schaute stumm in ihren Becher, dann nickte sie. »Ich habe viel von Euch gelernt, Meister Aethanus. Und von diesem Ort. Aber es gibt Dinge, die ich hier nicht lernen kann.«
Er brummte nur leise und trank einen Schluck. Es war sicherer, nichts zu sagen.
»Ihr könntet mit mir kommen«, schlug sie vor.
Die Antwort darauf war beiden bekannt, also sagte er auch darauf nichts, sondern widmete sich weiter stumm seinem Tee.
Warum fällt es mir so schwer? , überlegte er. Wenn meine anderen Schüler mich verließen, war ich so weit, dass ich sie am liebsten selbst aus dem Haus geworfen hätte. Wieso ist es bei ihr anders?
Als sie ihren Tee ausgetrunken hatte, schüttelte sie die Blätter auf dem Grund des Bechers und betrachtete das entstandene Muster. Die Seherin in ihr wollte Hexe spielen. Von seinem Platz aus sah er
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