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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Kamala. Es wollte sich den Wölfen stellen.
    Kehr um! , rief sie ihm in Gedanken zu. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte nicht einmal sprechen, konnte die Kleine nur in hilflosem Mitleid anstarren. Nichts in dieser Schankstube kann so viel wert sein, wie du dafür bezahlen musst. Glaube mir!
    Das Kind trug einen schlichten Leinenkittel; wahrscheinlich sein bestes Kleidungsstück. Zu beiden Seiten waren Ringe angenäht, durch die eine Schnur gefädelt und um die Taille fest zugezogen worden war. Dadurch erschienen die Hüften runder und etwas erwachsener, was bei einem so jungen Ding zwar eher unnatürlich wirkte, aber die gewünschte Aufmerksamkeit erregte. Mehrere von den Männern drehten sich um, als sich die Kleine einen Weg durch die Menge bahnte, und der Wirt, der sonst so sehr um seine Gäste besorgt war, blieb im Hintergrund. Er hatte noch nicht entschieden, ob er sie willkommen heißen oder aus dem Lokal weisen sollte.
    Endlich stand sie an einer Stelle, wo alle sie sehen konnten, und sagte erstaunlich ruhig, wie Kamala fand (sie wusste, wie schwer es war, furchtlos aufzutreten, wenn man sich zu Tode ängstigte!): »Ich möchte bitte Meister Beltorres sprechen.«
    Einige Männer lachten, ein paar von den Huren tuschelten, und ein bärtiger Mann in einem im östlichen Stil geschnittenen Wams hob den Kopf. »Ich bin Beltorres. Und wer oder was bist du?«
    Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und knickste. Kamala traf es wie ein Stich ins Herz. Hatte sie sich auch so ungeschickt angestellt, als sie damals versuchte, Aethanus mit vermeintlich feinen Manieren zu beeindrucken, die ihr so offensichtlich fremd waren?
    »Ich heiße Selti, wenn es dem Herrn beliebt.« Wieder der unbeholfene Knicks. »Ich soll Euch eine Nachricht von Meister Hurara überbringen.« Sie zog ein sorgfältig zusammengefaltetes Pergament aus ihrem Ärmel und reichte es dem Bärtigen. Der nahm es schmunzelnd und streifte dabei kurz aber vielsagend ihre Hand. Die Kleine wurde rot, aber sie lächelte, und sie wich nicht zurück. Kamalas Kehle brannte wie Feuer. Sie spürte, wie sich die Macht in ihrem Inneren empört aufbäumte und verlangte, dass sie dem Mädchen beistehe. Das ist ihr großer Auftritt , wandte sie ein. Die Entscheidung liegt bei ihr, nicht bei mir. Die Macht war nicht überzeugt und wallte auf wie flüssige Glut. Kamala wusste, worauf das Mädchen es anlegte. Sie konnte es förmlich riechen. Und sie wusste auch, wohin es führen würde.
    »Nun denn«, knurrte Beltorres. »Sieht so aus, als müsste ich doch noch einmal in den Hafen.« Er lachte herzlich und warf das Pergament ins Feuer. »Kaufmann sein heißt Geschäfte machen, nicht wahr?« Er grinste das Mädchen an wie eine hungrige Hyäne. »Warte doch noch ein wenig, vielleicht muss ich den Brief beantworten.«
    Kamala zog scharf die Luft ein, als eine der Huren leise auflachte und das Mädchen an sich ziehen wollte. Wie oft hatte sie auf ihr eigenes Leben zurückgeschaut und sich gefragt, welchen Moment sie hätte ändern können, damit alles anders verlaufen wäre. Der entscheidende Moment für das Mädchen war jetzt, und das war ihm auch bewusst. Kamala sah es ihm an den Augen an. Und sie konnte es riechen. Die Luft war zum Schneiden dick, gesättigt mit der Angst des Kindes, das die Schwelle zur Frau noch nicht überschritten hatte, den Düften der lachenden Huren, die es umringten, und dem Schweiß der Männer, die neugierig zusahen … Sie hatte Mühe, die Macht in ihrem Inneren zurückzuhalten. Aber wenn sie diese Macht jetzt freisetzte, dann könnte sie, die Götter wussten es, die gleiche Verwüstung anrichten wie im »Viertel« von Gansang, nur wäre es hier zehnmal schlimmer. Nicht, weil der Tod dieser Männer an sich schlimmer wäre als der Tod einer Schar von Raufbolden, sondern weil viel mehr damit zu rechnen war, dass jemand diese Männer rächen würde.
    Aber sie wollte töten. Sie wollte es wirklich. Sie wollte jeden Mann töten, der Hand an ein Kind legte, ob mit oder gegen dessen Willen. Und sie wollte jede Frau töten, die ein solches Kind in einen Kreis von Huren zog, wie es eben geschah. Die Huren zupften an dem groben Leinenkittel und betasteten mit heiserem Kichern den unreifen Körper, auch einer der Männer streckte die Hand aus, um zu erspüren, was unter der handgewebten Hülle steckte – und die Kleine war wie benommen und zitterte am ganzen Leib. Sie wollte das Geld, das ihr diese Aufmerksamkeiten einbringen würden, aber sie war noch

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