Die Seelenjägerin
auf den Boden. »Du solltest jetzt besser gehen.« Er hob das Bündel und warf es ihm zu. Es fiel ein Stück vor den Füßen des blonden Mannes zu Boden und wirbelte eine kleine Staubwolke auf. »Ich bin stolz darauf, ein friedliches Haus zu führen; vergiss das nicht, wenn du noch einmal hierherkommst.« Er warf ihm auch die Börse zu, und diesmal warf er weit genug. »Hier ist dein Geld, abzüglich des Preises für die Übernachtung und das Essen. Und eine kleine Entschädigung für den Ärger heute Nachmittag.«
Er kniff die Augen zusammen, sah Kamala warnend an und kehrte in seine Schankstube zurück. Der Reisende wog die Börse in der Hand, als die Tür zuschlug, als wollte er zeigen, wie leicht sie war. »Wahrscheinlich sollte ich froh sein, sie wiederzubekommen, ich habe fast mein ganzes Geld dem Mädchen nachgeworfen.« Er sah Kamala an. »Ich kann nur hoffen, dass ich dich da drin nicht in Schwierigkeiten gebracht habe.«
Sie zuckte die Schultern. »Und wenn schon, damit werde ich fertig.« Der Wirt musste sie ebenso sicher aufnehmen, wie am Morgen die Sonne aufging, denn sie hatte ihre Zauberkräfte um sein Herz gelegt. Aber das brauchte dieser Mann hier nicht zu wissen.
»Ich heiße Talesin«, stellte er sich vor.
Sie dachte kurz darüber nach, überlegte, wie viel sie ihm verraten wollte, und sagte dann: »Mich nennt man Kovan.«
»Ein Jungenname.«
Sie nahm ihm die Mütze wieder ab, setzte sie auf und verstaute die wilde Mähne darunter. »Ich bin doch ein Junge, nicht wahr?«
Ihre blauen Augen funkelten im Sonnenlicht. »Und wie würdest du dich nennen, wenn du dich als Mädchen verkleidet hättest, Kovan?«
Sie zögerte. Seiner Wärme und Offenheit war schwer zu widerstehen, aber sie war nicht so völlig davon berauscht, dass sie vergessen hätte, in welcher Lage sie sich befand. Die Magister waren ihr auf den Fersen, wahrscheinlich auch die Patrizier von Gansang, außerdem musste sie an ihre Träume denken. Könnte dieser nette junge Mann, der hier so weit von seiner gewohnten vornehmen Umgebung entfernt war, mit einer dieser Mächte im Bunde stehen? Der Gedanke ließ sie frösteln.
»Ich kann mich nicht entscheiden«, sagte sie und verbarg ihr Unbehagen hinter einem koketten Ton. »Such du etwas für mich aus, Talesin.«
»Nun gut.« Er tat so, als müsse er angestrengt überlegen. Währenddessen schickte sie einen Fühler ihrer Magie aus und wollte in seine Seele eindringen. Wenn er Geheimnisse hatte, würde sie das bald erfahren.
Doch sobald sie ihn berührte, spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Nicht allein, dass er in Magie eingesponnen war wie ein Schmetterling in einen Kokon. Männer von hohem Rang waren oft aus irgendeinem Grund von Magisterzaubern umgeben, und dass das auch bei diesem Mann so war, bestätigte nur ihren Verdacht, was seine wahre gesellschaftliche Stellung anging. Aber darunter … darunter lag eine Seele, wie sie ihr noch nie begegnet war. Sie mit ihrer Macht zu berühren hieß, wie in glühende Kohlen zu fassen. Beim ersten Kontakt zuckte eine magische Hitze durch ihren Arm und in ihren Körper, der sie in diesem Moment ebenso wenig nachspüren konnte, wie sie die Hand im lodernden Feuer hätte lassen können, um die Kohlen zu zählen.
Sie musste jedes Fünkchen Kraft in ihrer Seele aufbieten, um sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen und um nicht unwillkürlich zurückzuweichen. War sein Seelenfeuer so viel stärker als bei anderen Menschen? Oder war es nur so heftig entfacht, dass es wie ein Flächenbrand durch jede magische Verbindung raste? In all ihren Jahren bei Aethanus hatte ihr Lehrer eine solche Erscheinung nicht einmal andeutungsweise erwähnt. Sie wusste nicht, was sie davon zu halten hatte.
»Lianna«, sagte er und holte sie damit in die Gegenwart zurück. »Im Lande meiner Vorfahren ist dies der Name einer Göttin von großer Schönheit und feurigem Wesen. Unter ihrer Berührung zerbricht das Eis der großen Flüsse, sodass der Frühling zurückkehren kann. Willst du diesen Namen tragen, wenn du als Frau auftrittst?«
Sie brachte ein gleichgültiges Lächeln zustande, obwohl ihr das Herz bis zum Halse schlug. »Ein schöner Name. Ich werde mich bemühen, ihm gerecht zu werden.« Sie entzog ihm sanft ihre Hand; seine warmen Finger waren so weich wie Samt.
»Und woher kommst du nun, du schöne Betrügerin?« Seine Frage klang beiläufig, aber sie spürte genau, dass sie das nicht war. »Wenn du es mir nicht sagen willst, dann erzählst
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