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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Zwischen aufeinandergestapelten und fest verzurrten Holzkisten wurde ein freier Gang sichtbar. Es roch durchdringend nach Safran und Kassiarinde.
    »Leg ihn hier hinein«, sagte sie. Der Gang war gerade breit genug für zwei Menschen, solange sie nicht aufrecht standen. Sie wartete, bis der Bewacher Talesin vorsichtig zwischen die Kisten geschoben hatte, dann kletterte sie hinterher und zog die Ölplane wieder zu, damit der Regen nicht eindringen konnte. Danach fiel kaum noch Licht herein … aber sie brauchte jetzt das Zweite Gesicht, und dafür war kein natürliches Licht erforderlich.
    Sie fand keine äußeren Verletzungen, nirgendwo. Vergeblich tastete sie sein schlammverkrustetes Haar nach warmem, frischem Blut ab. Seine Glieder waren unversehrt. Wo sie auch suchte, sie entdeckte nichts, was den Zusammenbruch erklärt hätte.
    Nur eine Möglichkeit blieb noch.
    Sie erinnerte sich, dass er gestanden hatte, als sie den Blitz rief. Er hatte sie beobachtet. Sie erinnerte sich an seinen Gesichtsausdruck, als die Farbe plötzlich aus seinen Wangen wich, als seine Augen leer wurden und die Lider sich schlossen – es war, als hätte ihm eine Riesenfaust das Leben aus den Adern gedrückt, und dann war der Rest, die tote Hülle, einfach zu Boden gesunken.
    Vorsichtig, geradezu ängstlich beschwor sie noch einmal ihre magischen Sinne, setzte selbst für diesen Zweck nicht mehr von ihrer Macht ein als unbedingt nötig. Dann blickte sie in sein Inneres, schaute hinter das Blut, hinter das Fleisch, hinter all die Organe, die ihn gerade noch am Leben erhielten … in die Tiefen seiner Seele. Dahin, wo sein Geist lodern sollte. In das Zentrum seiner irdischen Kraft.
    Sie sah nur matte Glut.
    Beim Anblick der Wahrheit wallte die Finsternis um ihre Seele auf. Sie nahm sich die Zeit, um ihren Herzschlag, ihre Atemzüge zu beruhigen und versuchte klar zu denken. Er ist ein Konjunkt , sagte sie sich. Aber das muss nicht heißen, dass er mein Konjunkt ist.
    Doch die Wahrheit ließ sich nicht mit bloßen Worten vertreiben. Sie hatte gesehen, wie das Leben aus ihm wich, als sie ihre Macht beschwor. Sie wusste Bescheid.
    Behutsam, geradezu ängstlich schaute sie abermals in sein Inneres. Das Seelenfeuer, kaum stark genug, um ein Morati-Leben zu erhalten, war für ihre magischen Sinne immer noch heiß und drohte sie zu verzehren wie ein echtes Feuer das frische Holz. Seine Lebenshitze strömte in sie ein … sie spürte in diesem Moment, dass nichts sie daran hindern konnte, ihn zu verschlingen, den letzten Tropfen dieser Wärme in einem riesigen, verschwenderischen Blutmahl auszutrinken, wenn sie nur wollte. Sie hätte die Macht dazu.
    »Lianna?«
    Er hatte die Augen geöffnet und sah sie mit einer Eindringlichkeit an, die sie frösteln machte. »Was ist geschehen?« Sein Flüstern konnte kaum das Prasseln des Regens auf der Ölplane übertönen. »Sind wir … haben wir …?«
    »Sie sind alle tot. Keine Opfer auf unserer Seite, aber ein paar Verwundete. Netandos Männer sind noch beim Aufräumen.«
    Er wollte sich aufrichten. Er war schwach, sehr schwach. Doch es gab keine äußere Ursache für diese Schwäche.
    Die Ursache ist vielmehr, dass ich ihm für kurze Zeit mehr Kraft entzogen habe, als er entbehren konnte.
    Er sah sich in dem engen Raum um, Ratlosigkeit spiegelte sich in seinen Zügen.
    »Du bist in Urstis Wagen«, sagte sie.
    »Aha. Das hätte ich am Geruch erkennen müssen.« Wieder schaute er zu ihr auf. »Bin ich verletzt?« Es klang, als fürchtete er die Antwort.
    Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein.« Jedenfalls nicht durch sterbliche Waffen.
    Die Antwort schien ihn nicht zu trösten. Er legte mit einem schicksalsergebenen Seufzer den Kopf zurück. »Es tut mir leid«, flüsterte er. »Ich hätte es dir sagen müssen …«
    Sie antwortete nicht. Sie glaubte, sein Herz pochen zu hören … vielleicht war es auch ihr eigenes.
    »Vermutlich hätte ich auch Netando damals im Dritten Mond die Wahrheit sagen müssen … aber dann hätte er mich nicht mitgenommen.« Wieder seufzte er. »Zu dir will ich aufrichtig sein, Lianna, denn du hast mich gerettet. Der Grund für meinen Sturz …«
    Sie legte ihm den Finger auf die Lippen. »Still«, flüsterte sie. »Sag nichts. Ich weiß Bescheid.«
    Seine Lippen waren warm, so warm. Wärmte sie das Seelenfeuer in seinem Inneren, oder erschienen sie ihr nur so im Vergleich zur Kälte des Abgrunds, die sich in ihre Seele gekrallt hatte? Ein einziger falscher Gedanke, ein

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