Die Seelenjägerin
Kostas würde sie beide auslachen, während er seine nächste Gräueltat ausheckte.
Danton hat mich einst geliebt , sagte sie sich. Ein Teil von ihm liebt mich sicherlich noch immer. Wenn es mir gelingt, diesen Teil zu erreichen, könnte er auf mich hören.
»Wenn dies die einzige Möglichkeit ist, wenn es wirklich keinen anderen Weg gibt …« Sie nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Dann werde ich mit ihm sprechen. Ob ich ihn allerdings umstimmen kann, liegt in der Hand der Götter. Und die waren mir in letzter Zeit nicht gerade wohlgesinnt.«
»Das Schicksal eines einzelnen Menschen bedeutet ihnen nicht viel«, sagte Andovan. »Anders ist es aber doch wohl, wenn das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel steht. Und wenn die Magister recht haben, wenn ihre Berichte der Wahrheit entsprechen, dann geht es hier um nichts Geringeres.« Er fasste ihre beiden Hände und drückte sie fest. »Du bist die Einzige, die etwas ausrichten kann, Mutter.«
Das hat auch Rurick zu mir gesagt. Sein Besuch hat Kostas’ Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, und seither beobachtet er jede meiner Bewegungen. Wohin wird Andovans Besuch führen?
»Ich werde mit ihm reden«, versprach sie.
Sie glaubte nicht, dass sie Danton davon überzeugen könnte, Kostas zu entlassen, aber vielleicht genügte es schon, wenn es ihr gelänge, Zweifel an den Ratschlägen des Magisters zu säen. Wenn dessen Lügen etwas von ihrer Macht über den Großkönig verlören, käme der vielleicht wieder zur Besinnung. Mit der Zeit könnte man ihm womöglich sogar beibringen, was mit Andovan geschehen war, ohne dass er in mörderischen Zorn geriete. Dann könnte ihr Sohn nach Hause zurückkehren, und sie könnten versuchen, die Scherben all der Leben zu kitten, die Colivar zerstört hatte, und das Großkönigtum wieder auf Kurs zu bringen.
Träume , dachte sie. Nichts als Träume. Aber Träume waren das Einzige, was ihr geblieben war, und sie schwelgte darin.
Was die Seelenfresser anging … sie schreckte davor zurück, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Aber wenn Andovan recht hatte – wenn die Magister recht hatten –, dann drohte ihnen allen die größte Gefahr seit Menschengedenken. Und sie stünde wie alle Protektoren an vorderster Front, wenn es darum ging, sie zu bekämpfen.
Eins nach dem anderen , ermahnte sie sich. Und sie umarmte noch einmal ihren geliebten Sohn, drückte ihn fest an sich und versuchte für diesen einen Augenblick zu vergessen, wie hoffnungslos unterlegen sie doch alle waren.
Kapitel 40
Allein in ihrem Zimmer, strich Siderea Aminestas mit sorgsam manikürten Fingern über die Kanten der geheimen Truhe. Der Deckel stand bereits offen. Die Pfänder der Magister lagen vor ihr. Sie brauchte sie nur herauszuholen und mit einem Hauch von Hexerei für ihre Zwecke einzusetzen. Die Kosten wären gering, kaum der Rede wert. Fünf Minuten ihres Lebens vielleicht. Oder noch weniger.
Manchmal muss man den Preis bezahlen , sagte sie sich.
Sie zögerte noch immer. In alten Zeiten hatte sie darauf vertrauen können, dass früher oder später ein Magister vorbeikommen würde, der ihr alles erzählte, was sie wissen wollte. Heutzutage hatte sie diese Gewissheit nicht mehr. Seit sie den Mann aus Corialanus aufgenommen hatte, hatte sich alles verändert. Colivar hatte ihr wie versprochen von dem Blutbad im Norden berichtet, aber sie hatte gespürt, dass er wichtige Einzelheiten unterschlug. Fadir hatte plötzlich so dringende Geschäfte zu erledigen, dass er nicht einmal über Nacht bleiben konnte – und hatte sie damit der Gelegenheit beraubt, bei der sie einem Magister am ehesten seine Geheimnisse entlocken konnte. Seither war aus diesen Kreisen kein einziger Besucher mehr gekommen. Was war der Grund? Ging etwas vor, das alle vollkommen in Anspruch nahm?
Wenn ja, dann musste sie wissen, worum es sich handelte. Die Magister waren nicht die Einzigen, die das Schicksal der Reiche der Menschen lenkten. Sie mochte ihnen auf dem Gebiet der Zauberei nicht gewachsen sein, aber was die Politik anging, konnte es kaum ein Mann mit ihr aufnehmen. Sie würde nicht dulden, dass jemand sie im Dunkeln ließ – auch kein Magister.
Sie öffnete den Deckel der Truhe und strich sachte mit den Fingerspitzen über die gefalteten Papiere. Was für einfache Pfänder. Und doch so mächtig. Ein Anflug von wahrer Hexerei, und sie könnte in den Besitzern lesen wie in einem offenen Buch. Sie war überzeugt davon, dass kein Einziger sich gegen einen
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