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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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wenig leichter ums Herz.
    Aber nur ein wenig.
    Inzwischen müsste sein Vater das Haus verlassen haben oder sinnlos betrunken sein, und seine Mutter würde die Wunden der Familie verbinden. Er konnte es wagen, sich wieder blicken zu lassen, zumindest, um sich etwas zu essen zu holen. Viel war nicht im Haus – etwas altes Brot, ein paar harte Käserinden – aber er war jetzt so hungrig, dass er alles gegessen hätte. Seine Mutter würde schelten, weil er am Vormittag weggelaufen war, aber nicht allzu sehr. Sie verstand ihn. Sie würde selbst gern weglaufen, wenn sie nur könnte.
    »Hallo!«
    Die Stille auf der Straße war ihm unheimlich. Nicht allein deshalb, weil sich offenbar alle Bewohner in ihre Häuser zurückgezogen hatten, obwohl das an sich schon ungewöhnlich war. Oder weil sie sich so ruhig verhielten, dass er durch die dünnen Wände und die winzigen Fensterchen keine einzige Stimme hören konnte. Die ganze Atmosphäre beunruhigte den Jungen in einer Weise, die er nicht hätte in Worte fassen können. Manchmal findet ein Tier eine unnatürliche Erscheinung so beängstigend, dass es nur noch den Schwanz einklemmen und fliehen möchte. So etwa erging es ihm jetzt.
    Es kribbelte ihn im Nacken, als er die Straße hinunterging und mit zitternder Stimme einen Namen nach dem anderen rief. Aber er wollte tapfer sein. Er war heute schon einmal davongelaufen, und jetzt schämte er sich seiner Feigheit. Nein, er durfte diese Stille, so rätselhaft sie auch sein mochte, nicht zum Vorwand nehmen, um schon wieder die Flucht zu ergreifen.
    Aber wieso war denn nun gar niemand draußen?
    Scheu wie ein wildes Kaninchen tastete sich der Junge durch die Straße. Nichts regte sich. Inzwischen hätte ihm doch ein Hund nachschnüffeln müssen oder … oder sonst etwas.
    Nichts.
    Er kam an einem Haufen Pferdeäpfel vorbei. Sie waren noch ziemlich frisch, und die Fliegen hatten sich darum geschart wie hungrige Bauern um ein Festmahl. Bei diesem Anblick wurde ihm plötzlich himmelangst, ohne dass er gewusst hätte, warum. Fast hätte er kehrtgemacht und wäre davongelaufen. Aber er zwang sich zu bleiben. Fliegen und Kot konnten ihm schließlich nichts anhaben. Für die Angst, die ihm langsam wie eine kalte Faust das Herz zusammendrückte, musste es einen anderen Grund geben.
    »Hallo …?«
    Er hatte die kleine Dorfschenke erreicht. Eigentlich nichts Besonderes, aber die Männer des Dorfes bekamen dort billiges Bier, und die Bauern, die bei jedem Wetter draußen waren, konnten für ein paar staubige Münzen ihren Hunger stillen. Mit Rücksicht auf sein Geschäft kippte der Wirt seine Abfälle nicht auf die Straße wie die meisten anderen, sondern in den schmalen Durchgang zum Nachbarhaus. Der Junge sah den Haufen im Vorübergehen … blieb stehen, trat näher und starrte ihn an. Wieder beschlich ihn das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, ein so intuitiver, schwer zu fassender Verdacht, dass er am liebsten doch noch weggerannt wäre. Aber er widerstand auch diesmal und suchte sich darüber klar zu werden, was an einem Haufen verwesender Abfälle so schrecklich sein konnte.
    Und dann ging ihm ein Licht auf.
    Es gab keine Ratten!
    Er schaute hinter sich die Straße entlang. Auch da waren keine Ratten zu sehen, dabei sollten sich um diese Zeit schon die ersten der kleinen grauen Biester aus ihren Löchern wagen, um sich in den länger werdenden Schatten bei Sonnenuntergang ein Stück Abfall zu sichern, bevor alle ihre Brüder herauskamen und sich ihren Anteil am Unrat der Menschen erkämpften. Ratten gehörten zum Alltag des menschlichen Lebens, die Frauen verfluchten sie mit Inbrunst, aber sie aufhalten zu wollen war aussichtslos.
    Jetzt aber war nirgendwo eine Ratte zu sehen.
    Nicht auf der Straße, nicht in den Schatten, nicht in den frischen Abfällen … nirgendwo.
    Der Junge wich ein paar Schritte zurück und trat unversehens in die Pferdeäpfel. Die Fliegen rollten herunter wie schwarze Steinchen. Tot. Sie waren alle tot.
    »Mutter?«
    Panik erfasste sein kleines Herz. Jetzt rannte er doch los. Nicht weg vom Dorf, wie alle seine Instinkte es ihm zuschrien, sondern die Straße hinunter, am Dorfplatz vorbei und weiter, bis nur noch kleine Häuser zu beiden Seiten der ungepflasterten Straße standen, jedes mit einem eigenen ratten- und fliegenfreien Abfallhaufen vor der Tür.
    »Mutter!«
    Auch die Vögel zwitscherten nicht, stellte er fest, als er atemlos vor seinem Zuhause anhielt. Und keine Insekten summten. Nichts war wie

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