Die Seelenkriegerin - 3
würde ihm nicht verbieten, Zauberei einzusetzen.«
»Auch das habe ich gehört«, sagte sie leise.
»Hatte ich denn eine andere Wahl? Wenn er sein Leben bedroht glaubt, wird er sich meinetwegen nicht zurückhalten. Ich kann also den Fanatiker spielen und vor dieser Tatsache die Augen verschließen. Das heißt, ich kann darauf bestehen, dass er zu meinen und nicht zu seinen Bedingungen in die Schlacht zieht, und dann zusehen, wie er sich bedenkenlos über meinen Befehl hinwegsetzt … oder ich kann einen Scheinkompromiss eingehen und hoffen, dass die wenigen Bedingungen, von denen ich nicht abgehe – und auf die es wirklich ankommt – respektiert werden.«
Sie legte ihm sanft eine Hand auf den Arm. »Es war eine kluge Entscheidung, mein Sohn.«
»Warum versagen dann die Büßerhexen?«, wollte er wissen. »Was ist, wenn Er diesen Krieg gar nicht will, Mutter? Wenn Er die Seelenfresser zurückgeholt hat, um die Menschheit für ihre Sünden zu bestrafen, und wenn es nicht Sein Wille ist, dass wir sie vernichten, bevor sie ihr Werk vollendet haben? Könnte Er uns in diesem Fall nicht eine letzte Warnung gesandt haben? Eine letzte Aufforderung, uns aus freien Stücken zurückzuziehen, bevor Er die Sache selbst in die Hand nimmt?«
»Die Führer deiner Kirche haben diesen Feldzug genehmigt«, erinnerte sie ihn. »Wenn dein Gott ihn nicht wollte, glaubst du, dann hätte Er ihnen nicht schon vorher ein Zeichen gegeben?«
»Vielleicht hat Er das ja getan? Vielleicht ist es ihnen nur entgangen. Hat nicht das gesamte Erste Königtum den Willen des Schöpfers missverstanden? Die Seelenfresser wurden als Warnung geschickt, und niemand hat es erkannt. Also wurde damals die Welt zerstört. Wenn die Führer meiner Kirche den gleichen Fehler begehen, muss man dann nicht annehmen, dass sie die gleiche Strafe treffen könnte?«
»Würde dein Gott wegen einiger weniger eine ganze Welt zerstören?«
»Mein Gott ist der Schöpfer, von dem alles Leben ausgeht. Er hat diese Welt aus Seiner göttlichen Liebe heraus erschaffen und der Menschheit alles gewährt, was sie braucht, um zu gedeihen. Mein Gott ist aber auch der Zerstörer, der die Aufgabe hat, die Welt von Sünde zu reinigen. Wenn die seelische Verderbnis der Menschheit so groß wird, dass mit Gebeten und Bußakten nichts mehr auszurichten ist, dann ist es Seine Pflicht, einzuschreiten und reinen Tisch zu machen, damit der Mensch neu beginnen kann. Wie Er es schon einmal getan hat.«
Gwynofar seufzte. Dein Gott verlangt eine Vollkommenheit, die einfach nicht in der Natur des Menschen liegt , dachte sie. Aber sie drückte leicht seinen Arm und sagte so sanft und tröstlich, wie sie nur konnte: »Ich verstehe nichts von solchen Dingen, mein Sohn. Ich weiß nicht mehr, als dass wir morgen bei Tagesanbruch nach Jezalya aufbrechen und dass du vorher deine Nachtruhe brauchst. So oder so, wir können nicht mehr zurück. Du solltest dich nicht mit Zweifeln quälen, die keinen praktischen Nutzen haben können.« Sie hielt inne. »Lass dir von einer der Hexen beim Einschlafen helfen, wenn es nötig ist.« Als er nicht antwortete, stieß sie ihn sachte mit dem Finger an. »Versprich es mir.«
Er zwang sich zu einem schwachen Lächeln. »Ich verspreche es, Mutter.«
Sie zog ihn zu sich herab und küsste ihn zärtlich auf die Stirn. Dann ließ sie ihn allein. Auf dem Weg zurück zum Lager flüsterte sie ein Gebet an ihre eigenen Götter. Nicht an einen bestimmten … einfach nur an jeden, der es zu hören gewillt war.
Helft mir , flehte sie. Ich weiß, dass er unrecht hat. Er muss unrecht haben. Gebt mir die Werkzeuge, die ich brauche, um ihm den Beweis zu liefern, damit er gewappnet mit der Zuversicht seines Glaubens und nicht von Zweifeln geschwächt in die Schlacht ziehen kann.
Schwarz und stumm steht der Thron der Tränen vor Gwynofar, seine Schwingen wollen sie umschließen. Die Erinnerung an ihre erste Begegnung mit dem magischen Artefakt lässt sie erzittern und weckt die Trauer um das Kind, das sie an jenem Tag verlor. Unwillkürlich legt sie eine Hand auf ihren Leib.
Das uralte Wissen der Lyr ist an diesen Thron gebunden. Immer noch zieren Spuren ihres Blutes den grotesken Stuhl. Vergeudet, alles vergeudet, solange das größte Opfer nicht gebracht worden war. Wäre sie diesen Weg auch gegangen, wenn sie gewusst hätte, was er ihr abverlangen würde? Oder wäre sie ihrem Mutterinstinkt gefolgt und hätte sich vom Thron ferngehalten, um ihr ungeborenes Kind um jeden
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