Die Seelenkriegerin - 3
Hexenkunst bis zu dem Tag, an dem wir es brauchten. Es ist die Lebensessenz all jener Männer und Frauen, die sich versammelten, um zu kämpfen, als jegliche Hoffnung verloren schien, und die zuletzt ihr Leben hingaben, um eine Welt zu retten. Jeder von ihnen spendete einen einzigen Tropfen seiner Lebenssubstanz, in dem auch eine Spur seines Charakters enthalten war. Mut. Glaube. Opferbereitschaft. Alles verschmolzen zu dem, was ihr hier seht, auf dass es uns unversehrt überliefert werden könne und uns in unserer dunkelsten Stunde Kraft verleihe.« Noch einmal drehte sie die Kugel und ließ die Facetten aufleuchten.
»Das ist euer Erbe. Euer Geburtsrecht. Das Vermächtnis vieler mutiger Männer und Frauen an ihre geistigen Erben.« Wieder nahm sie einen tiefen Atemzug. »Gibt es ein kostbareres Geschenk als die Essenz des eigenen Lebens? Ist es nicht der Gipfel an Weisheit, Prüfungen vorherzusehen, die noch in der Zukunft liegen, und die Instrumente bereitzustellen, mit denen die Kinder und Kindeskinder sie bestehen können?« Sie hielt die Kugel noch höher, damit alle sie deutlich sehen konnten. »Diese Männer und Frauen, eure Vorfahren im Geiste, teilten ihr kostbarstes Wissen in tausend Stücke auf und verstreuten es so über die ganze Erde, nicht etwa, um es unauffindbar zu machen, sondern damit machthungrige Tyrannen es übersähen. In weiser Voraussicht bauten sie ihre Erkenntnisse in Lieder ein – in Gebete – in Prophezeiungen –, damit selbst dann noch etwas erhalten bliebe, wenn alle Bücher der Welt verbrannt würden. Und sie vertrauten darauf, dass ihre Nachkommen nach diesen Bruchstücken suchen und lernen würden, sie wieder zusammenzusetzen, falls – wenn – die Finsternis zurückkehrte.
Und wir haben es getan.«
Sie ließ die Kugel sinken. »Noch heute sollt ihr verbunden werden mit diesen Männern und Frauen, im Körper wie im Geiste, sodass sie auch ihr letztes und kostbarstes Geschenk mit euch teilen können.«
Sina hatte ruhig in den Schatten neben dem Podest gewartet. Nun nickte ihr Gwynofar zu, und so trat sie vor und reichte ihr einen großen Silberkelch. Gwynofar nahm ihn mit der freien Hand, stellte ihn vor sich hin und hielt die schwarze Kugel genau darüber.
»Verwandle dies in seine ursprüngliche Form zurück«, befahl sie.
Sina schloss kurz die Augen. Gwynofar sah, wie sich ihre Lippen bewegten. Sie sprach eine Beschwörungsformel, die ihr helfen würde, ihre Macht zu bündeln. Als sie die Augen wieder öffnete, ging ein seltsames Licht von ihr aus. Kein physisches, sondern ein mystisches Licht , dachte Gwynofar.
Sina streckte die Hand aus und berührte die Kugel. Energie strömte durch Gwynofars Arm, und der Kristall in ihrer Hand löste sich auf. Schwarz wurde zu Rot; Stein wurde flüssig; Glätte wurde zu Wärme. Sie hob die Hand und ließ den scharlachroten Saft zwischen den Fingern hindurch in den Kelch tropfen. Dort mischte er sich mit dem Wein, den Salvator bereits eingegossen hatte, und mit den letzten Tropfen war der Kelch gefüllt bis zum Rand.
Sie nahm ihn in beide Hände, trat zurück und nickte Salvator zu. Er nahm ihren Platz ein.
Der junge König trug die Rüstung eines Kriegers und darüber die Stola des Priesters. In der Hand hielt er ein ledergebundenes Buch. »Mitbrüder im Büßerglauben«. Seine Stimme drang mühelos bis zu den hintersten Reihen. »Durch Erlass des Rates der Primi wurde ich für die Dauer dieses Feldzugs in den Rang eines Priesters zurückversetzt, um euch das Sakrament unseres Glaubens spenden zu können.«
Er schlug das Buch auf, blätterte bis zu einem goldenen Lesezeichen und begann mit klarer, kräftiger Stimme zu rezitieren:
Herr und Gott, Schöpfer der Welt,
Herr und Gott, Zerstörer der Welt,
Herr und Gott, Quell aller Weisheit,
Herr und Gott, Richter aller Menschen,
Höre unser Gebet:
In Reue und Demut wenden wir uns an Dich, unseren ewigen Richter, und bitten Dich um Deinen Segen für unsere Mission. Nicht für uns streben wir nach Ruhm, nur Deine Herrlichkeit wollen wir mehren. Gewähre uns heute Deine göttliche Gnade und vergib uns unsere vielen Sünden, auf dass wir reinen Herzens und frei von der Last unserer früheren Schuld in die Schlacht ziehen können. Nimm alle Todesfurcht von uns, denn das Leben ist das letzte Geschenk des Menschen an Dich, und das Opfer ist größer als jedes Gebet.
Siehe, wer in Deinem Dienste stirbt, ist zweifach gesegnet, denn sein Glaube wurde in die Waagschale gelegt, und sein Opfer
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