Die Seelenkriegerin - 3
kühlte den Schweißfilm auf ihrer Haut. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte, als wäre sie eine weite Strecke gelaufen.
Kraftlos stützte sie sich auf einen Ellbogen. Sie war wohl ohnmächtig geworden und gestürzt. Ein paar Schritte vor ihr lag die Wäsche, die sie gewaschen hatte. Fast trocken! Sie musste stundenlang ohne Bewusstsein hier gelegen haben.
Der Korb stand nur ein kurzes Stück von ihr entfernt. Den Göttern sei Dank, dass sie nicht darauf gefallen war und das Kind erdrückt hatte! Sie stemmte sich zum Sitzen hoch, streckte die Hand aus und zog den Korb zu sich heran. Ihre Hände zitterten, und sie entschuldigte sich flüsternd bei ihrem armen Sohn dafür, dass sie ihn so lange allein gelassen hatte. Er musste doch hungrig sein!
Doch als sie in den Korb schaute, wollte ihr das Herz schier stehen bleiben.
Ihr Sohn war verschwunden.
Sie sah noch die Mulde, wo er zuletzt gelegen hatte. Wenn sie den Kopf weit hinabbeugte, konnte sie, vermischt mit dem Schweiß der Gnädigen, seinen Duft riechen. Aber da war noch ein anderer Geruch, ein fremder Verwesungsgeruch, bei dem sich ihr der Magen umdrehte.
Gerade noch rechtzeitig hielt sie den Kopf zur Seite. Wellen der Übelkeit schüttelten sie, und sie übergab sich neben den Korb. Wieder und wieder würgte sie ihr Entsetzen und ihre Trauer in einem Schwall bitterer Galle aus, bis ihr Körper – und ihre Seele – endlich leer waren. Dann sank sie auf den harten, kalten Granit und schlang die Arme um sich. Sie zitterte so heftig, als wäre es unversehens Winter geworden. In ihrer Niedergeschlagenheit wusste sie nicht mehr, wo sie war oder was genau geschehen sein mochte … sie wusste nur, dass man ihr einen Teil ihrer Seele geraubt hatte und dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ohne ihn weiterleben sollte.
Erst viel später, als ihr Verstand wieder einsetzte, kam sie auf die Idee, der Spur des Mädchens zu folgen. Und noch später musste erst ihr Mann sie daran erinnern, dass ein erfahrener Waldläufer wüsste, wonach er zu suchen hätte, und wenn ein gewöhnlicher Mensch keine Spuren fände, so doch gewiss eine Hexe oder ein Hexer. Sie würden das nötige Geld dafür aufbringen. Das versprach er ihr.
Vorerst konnte sie nur weinen.
Kapitel 4
Das Land erstreckt sich nach allen Richtungen, so weit das Auge reicht. Trockene Erde, grau und rissig, zerkrümelt unter Colivars Füßen zu Staub. Hier und dort hat ein winziger Schössling seine Wurzeln in den Boden geschlagen, aber er findet keinen sicheren Stand; die schmalen Blätter sind dünn und trocken und rollen sich ein, um sich vor der sengenden Sonne zu schützen.
Colivar kniet sich zu den Schösslingen in den Staub. Hin und wieder begießt er einen mit Wasser aus dem Holzeimer, der neben ihm steht, aber es ist nie genug. Der Boden saugt das kostbare Nass in Sekundenschnelle auf und sammelt es so weit in der Tiefe, dass das flache Wurzelgeflecht des Schösslings es nicht erreichen kann. Und es sind so viele! Selbst wenn das Wasser ihnen helfen könnte, er hat nicht genug, um sie alle zu versorgen. Einige werden auf jeden Fall sterben müssen, damit die anderen leben können.
Über ihm zieht ein Schatten vorbei. Er wischt sich mit einem schmutzigen Ärmel den Schweiß von der Stirn und schaut zum Himmel empor. Die Sonne des Südens ist grausam, ihre Hitze entzieht dem menschlichen Körper auf eine Art und Weise die Kraft, an die er sich nie gewöhnen wird. Seine Augen brauchen etwas Zeit, um sich auf das grelle Licht einzustellen und sehen zu können, was sich da oben vor der Sonne abzeichnet.
Es sind Schwingen.
Bunte Flächen aus lebendigem Glas filtern das Sonnenlicht und werfen blaue, grüne und violette Schatten über die ausgedörrte Erde. Wenn sie auf die Schösslinge fallen, geht ein Zittern durch die schmächtigen Pflanzen, und sie welken sogleich dahin. Eine um die andere verdorrt und schrumpft zusammen, und die vertrockneten Skelette zerfallen im heißen Wind.
Colivar sieht es, tiefe Enttäuschung überfällt ihn, treibt ihm den Schweiß aus den Poren. Er ist nicht bloß körperlich, sondern auch seelisch erschöpft. Denn er war derjenige, der diese Schösslinge vor langer Zeit pflanzte, und mit jedem, der jetzt stirbt, stirbt auch ein Teil von ihm selbst.
Du hast schon damals gewusst, dass sie wahrscheinlich nicht überleben werden, sagt er zu sich. Du hast dir fest vorgenommen, dein Herz nicht an sie zu hängen. Weißt du es nicht mehr?
Einer der violetten Schatten kommt auf
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