Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Licht zu pulsieren schien, und der Donner war so laut, dass den Seeleuten die Ohren dröhnten.
An den Küsten der Freien Lande, in den Häfen Anchasas und auf den Schiffen, die darum kämpften, in dieser wahnsinnig gewordenen Welt nicht unterzugehen, wurden verzweifelte Gebete zum Himmel geschickt. Denn ein solcher Sturm war gewiss nicht natürlichen Ursprungs, und folglich war er auch nicht ohne göttliches Eingreifen zu beenden. Doch dann fiel den Seeleuten noch im Gebet auf, dass die Wellen nicht so hoch waren, wie sie bei dieser Windstärke hätten sein müssen. Es war, als würden sie von einer höheren Macht künstlich niedrig gehalten, damit ihre Schiffe nicht kenterten, während über ihnen der Himmel tobte.
Endlich beruhigte sich das schrecklich anzusehende Spektakel. Die Blitze wurden seltener und die Wolken dünner. Als sie sich endlich lichteten, sah man, dass im Laufe des Sturms die Nacht hereingebrochen war. Nun leuchtete eine einzelne Mondsichel vom Himmel wie ein Hoffnungsstrahl. Nur zaghaft schoben die Männer und Frauen, die am Meer lebten, ihre Fensterläden auf, sie konnten noch nicht glauben, dass der unheimliche Sturm tatsächlich vorüber war. Viele ließen die Kerze vor dem Familienaltar zur Sicherheit bis zum Morgen brennen.
Die Magister, die das Unwetter sahen, beteten nicht. Sie beobachteten es mit stillem Interesse, aber nicht mit großem Staunen, denn sie ahnten, woher es kam. Sie kannten die Namen der Magister nicht, die es beschworen hatten, sie wussten nicht einmal, wie viele es waren – fest stand nur, dass mehrere Zauberer sich daran beteiligt hatten –, aber sie wussten, was sein Zweck gewesen war. Wetterzauber waren eine der kostspieligsten und schwierigsten Künste auf ihrer Liste, und niemand machte sich ohne triftigen Grund an ein solches Werk. In irgendeinem Teil der Welt hatte man einem oder mehreren Konjunkten bewusst das letzte Seelenfeuer entzogen. Und anderswo hatte man sich die gleiche Anzahl von neuen, frischen, vitalen Konjunkten genommen. Nur eines wussten die Beobachter nicht – und das machte sie neugierig. Was mochte das für ein monumentales Unternehmen sein, für das gleich mehrere von ihnen auf dem Höhepunkt ihrer Kräfte sein mussten?
Am Morgen war das Meer wieder ruhig.
Kapitel 34
Die Hexen und Hexer versammelten sich am frühen Morgen. Es war kühl, denn die Sonne ging gerade erst auf. Das schmale Lichtband am östlichen Horizont spendete noch nicht genügend Helligkeit, deshalb hatte man Fackeln angezündet. Ihr flackerndes Licht fiel auf etwa hundert erwartungsvolle Gesichter.
Büßergesichter.
»Alle sind hier«, sagte Salvator.
Gwynofar nickte. Sie spürte den seltsamen Glauben dieser Menschen trotz der morgendlichen Kühle wie Wärme auf ihrem Gesicht. Es mochte nicht der Glaube an ihre eigenen Götter sein, aber er strahlte doch eine starke, heilige Energie aus. Sie stand ganz still da, ließ sich davon umfangen und zog Kraft daraus. Salvator wartete geduldig neben ihr, um den feierlichen Augenblick nicht zu stören.
Endlich nickte sie. Er reichte ihr seinen Arm, und gemeinsam bestiegen sie das Podest. Ein Meer von Gesichtern schaute zu ihnen auf, und Gwynofar schien es, als sei die Menschheit in all ihren Erscheinungsformen hier vertreten. So muss es während des Großen Krieges gewesen sein , dachte sie. Jenes Heer war aus den letzten Überlebenden der damaligen Zeit zusammengestellt worden, sie hatten sich eingefunden, um in einem letzten, verzweifelten Versuch zur Rettung ihrer Welt all ihre Kräfte zu bündeln. Diesmal sollte der Schlag schon im Voraus geführt werden, aber mit ebenso weltweiter Beteiligung.
Als sie sah, dass alle Augen auf ihr ruhten, holte sie tief Luft und bemühte sich, ihr flatterndes Herz zu beruhigen. Alle Wege, die sie bisher gegangen waren, hatten an diesen einen Ort, zu diesem einen Augenblick geführt. Es war unmöglich, hier zu stehen, ohne das Gewicht des Schicksals auf den Schultern zu spüren.
Mit uns beginnt oder endet das Schicksal der Menschheit.
Sie löste den gepolsterten Lederbeutel von ihrem Gürtel und holte seinen kostbaren Inhalt heraus. Dann hielt sie den Gegenstand in die Höhe und drehte ihn hin und her, damit sich das Licht der Fackeln in den schwarzen Facetten spiegelte. Sie glaubte zu spüren, wie die Energien im Inneren des alten Kristalls vibrierten.
»Dies ist das Blut der alten Märtyrer«, verkündete sie, »bewahrt über viele Generationen durch die Protektoren, konserviert mit
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