Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
sicherlich nichts; diese Kreaturen wurden nur von blinden tierischen Instinkten geleitet. Zum ersten Mal seit ihrem Eintreffen in Jezalya bekam es Kamala wirklich mit der Angst zu tun. Bis jetzt war ihr das ganze Unternehmen unwirklich vorgekommen – sogar die Transformation und der Flug waren wie ein Traum gewesen –, doch nun holten sie die Schreie der Männchen aus diesem Traum und schleuderten sie in eine unheimliche Wirklichkeit. Es gab kein Zurück mehr, und wenn sie ihr Spiel nicht gut spielte, konnte das viele Menschen das Leben kosten.
Auch sie selbst.
Konzentriere dich , befahl sie sich. Ihre erste Aufgabe war, die Seelenfresser von Salvators Leuten wegzulocken, damit diese nicht gestört würden. Einen nach dem anderen.
Sie gab ihre magische Tarnung auf und erlaubte den Seelenfressern, sie zu sehen.
Die reagierten sofort. Wie ein Blitz raste die Nachricht durch die Luft, und selbst die Seelenfresser, die nicht in ihre Richtung geschaut hatten, spürten plötzlich Kamalas Anwesenheit und machten im Flug kehrt.
Sobald Kamala sah, dass ihre Widersacher auf sie zusteuerten, schwenkte sie nach Westen ab und bewegte ihre Schwingen so kraftvoll und schnell, wie sie nur konnte. In dieser Hinsicht war sie im Vorteil. Ihr Körper war leichter als der ihrer Verfolger, zum Teil deshalb, weil ihm die speziellen Kampfwerkzeuge der Männchen fehlten. Über ihren glatten Körper konnte der Wind ungehindert strömen, ohne von Dornen oder Rückenstacheln aufgehalten zu werden. Kein Männchen konnte sie einholen, wenn sie es nicht wollte.
Sie flog über eine leere Wüstenfläche, so schnell ihre breiten Schwingen sie tragen konnten. Die Männchen folgten. Mehrmals hörte sie wütendes Kreischen hinter sich, und einmal glaubte sie, einen zerfledderten schwarzen Schatten abstürzen zu sehen. Eine echte Königin hätte sich wahrscheinlich im Flug umschauen können, ohne aus dem Rhythmus zu kommen, wenn sie ihren langen Schlangenhals nach hinten drehte, aber so sicher fühlte sich Kamala in diesem Körper noch nicht. Sie hielt den Blick entschlossen nach vorne gerichtet und verstärkte lediglich mittels Zauberei ihr Gehör, um sofort zu merken, wenn ihr ein Männchen zu nahe kam. Alles hing davon ab, dass sie sich ihren Verfolgern wenigstens so lange entziehen konnte, bis Salvators Leute Gelegenheit bekamen, die echte Königin auszuschalten.
Aber sie hatte nicht vergessen, was ihr Colivar über den Flug seiner Königin erzählt hatte, und als sie endlich eine Stelle erreichte, wo sie nach allen Seiten nur noch leeren Himmel und sonnenheißen Sand sah, änderte sie ihren Kurs und flog eine weite Kurve nach Süden. Die Seelenfresser, die dicht hinter ihr waren, folgten ihr blind, sie hatten nur Augen für das Wild, das zum Greifen nahe schien. Die Gruppe, die weiter zurücklag und einen besseren Überblick hatte, bog dagegen schräg ab, um sie abzufangen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie machte die Kurve enger, um die Verfolger in ihrer Strategie zu bestärken … und steuerte geradewegs auf einen Punkt zu, an dem es nach ihrer Schätzung zu einer heftigen Kollision der beiden Gruppen kommen konnte. Die Seelenfresser, die ihr auf den Fersen waren, schrien ihren Kampfruf hinaus, als sie sahen, dass sie auf ihre Rivalen zusteuerte, und versuchten noch verzweifelter, sie einzuholen. Sie spürte den Sturm, den sie dabei entfachten, an ihren hinteren Schwingen.
Und dann, genau in dem Moment, als es unvermeidlich schien, dass die beiden Seelenfresser-Gruppen sie in die Zange nehmen würden, verschwand sie. Sie beschwor die Ikati-Gabe, entzog sich ihren Blicken, legte die Schwingen fest an und ließ sich aus ihrem sorgfältig kontrollierten Flug so plötzlich absacken, dass ihr vor Schreck fast das Herz stehen geblieben wäre. Selbst wenn die Seelenfresser ihre Tarnung hätten durchdringen können – auf dieses Manöver wären sie nicht vorbereitet gewesen.
Gleich darauf prallten die beiden Gruppen aufeinander und ließen ihrer Wut und ihrer Enttäuschung freien Lauf. Blut spritzte über den Morgenhimmel. Ein paar Einzelgänger lösten sich aus dem Getümmel, zogen weite Kreise und suchten den Himmel nach ihrer verschwundenen Beute ab, aber sie suchten alle in der üblichen Höhe für Ikati-Flüge, und kein einziger schaute nach unten, wo sie nur wenige Meter über dem Sand dahinschwebte.
Sie spürte eine seltsame Genugtuung, als sie den Kopf in den Nacken legte und das Chaos beobachtete. Eine Genugtuung, die nicht
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