Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
Stunden jenen natürlichen Lebenshunger verspürt, der den Menschen angeboren ist, und hätte dieses Gefühl etwas ändern können? Hätte er vielleicht in kritischen Momenten anders entschieden? Hätte der Hunger ihn andere Wege geführt, ihm andere Möglichkeiten eröffnet und ihm letztlich geholfen, sein Ziel zu erreichen, ohne dafür zu sterben?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich war bei dieser Schlacht nicht anwesend, weiß also nicht in allen Einzelheiten, wie es dabei zuging. Aber die Frage ist einer Überlegung wert.«
Ramirus schnaubte leise. »Du bist heute Abend wohl zum Philosophieren aufgelegt.«
Colivar zuckte die Achseln. »Vielleicht bringt der Zustand der Welt den Philosophen in mir zum Vorschein.« Er wischte sich die Finger am Hemd ab, ein Staubstreifen blieb zurück. »Der Alkal-Feldzug war auf jeden Fall interessant zu beobachten. Besonders einige der Teilnehmer. Fasziniert war ich von der Hexe, die uns half. Der Rothaarigen. Wie hieß sie doch noch?«
»Kamala?«
»Ein sonderbares Geschöpf. Was hältst du von ihr?«
Ramirus zuckte die Achseln. »Sie ist sehr fähig. Sie versteht ihr Handwerk. Und sie weiß besser über die Sitten und Gebräuche der Magister Bescheid, als es bei Außenstehenden üblich ist; es würde mich nicht überraschen, wenn sie irgendwann einmal die Gefährtin eines Magisters gewesen wäre.« Wieder blickte er hinaus zu den Bergen. »Ihre Gefühle konnte ich mühelos lesen, doch ihre Seele blieb mir verschlossen. Zauberei gleitet einfach an ihr ab – aber das weißt du sicher alles selbst.«
»Sie ging mit ihrer Macht sehr großzügig um«, deutete Colivar an.
»Eine verliebte Frau begeht so manche Torheit. Das gilt übrigens auch für Männer. Ich habe Hexen und Hexer erlebt, die ihr letztes Athra für weniger verbrannt haben.« Er sah Colivar neugierig an. »Hast du ein besonderes Interesse an dieser Frau?«
»Ich habe ein besonderes Interesse an jeder Hexe, die bereit ist, ihre Lebensenergie für eine Sache hinzugeben. Wenn wir von dieser Sorte genügend finden, können wir Magister uns aus diesem Krieg heraushalten.«
Ramirus lachte in sich hinein. »Die Magister werden sich in jedem Fall heraushalten, das weißt du so gut wie ich. Man kann nicht gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen, wenn einem der Kampf gegen seinesgleichen wichtiger ist.«
»Aber wir haben doch ein Bündnis geschlossen«, erinnerte ihn Colivar. Das Wort war von einem leisen Schmunzeln begleitet.
»Ach ja.« Ramirus lächelte spöttisch. »Wir werden sehen, wie weit wir damit kommen.«
»Meinst du, Lazaroth glaubt wirklich daran?«
»Wenn du mich fragst, will Lazaroth wissen, wo sich Siderea Aminestas aufhält, und alles andere sollte uns nur ablenken. Warum sie ihm so wichtig ist, wäre später zu klären. Doch selbst ein schwaches Bündnis kann sich als nützlich erweisen. Ein Krieg steht unmittelbar bevor, das lässt sich nicht bestreiten, und wenn jeder von uns für sich Erkundigungen einzieht, geht viel Zeit verloren. Wie viel von unseren Erkenntnissen wir miteinander teilen werden … nun, das ist eine andere Frage.« Sein kalter Blick richtete sich auf Colivar. »Auch das weißt du natürlich selbst am besten.«
»Ich habe bereits ziemlich viel preisgegeben«, erklärte Colivar.
»Das ist richtig.« Ramirus’ blaue Augen glitzerten im Mondlicht. »Und wenn ich nach Hause komme, werde ich herauszufinden suchen, was davon Wahrheit ist und was nur geschickte Irreführung.«
Colivar zögerte. Er schien zu überlegen, wie weit er sich vorwagen sollte. Endlich erklärte er: »Hier hast du noch eine Wahrheit. Ich werde meinen Kontrakt mit Anchasa lösen.«
Ramirus’ Lächeln erlosch. Colivar kannte ihn gut genug, um das jähe Aufblitzen in seinen Augen zu bemerken und den kalten Finger seiner Macht zu spüren, der auf der Suche nach einem noch so kleinen Hinweis auf seine wahren Beweggründe über seine Abwehr glitt. Aber Colivar hatte sich mit vielen magischen Schichten umgeben, um genau solche Attacken abzuwehren. Gewisse Themen waren wichtig genug für einen besonderen Schutz. »Wieso glaubst du, dass mich das irgendetwas angeht?«
»Wir beide dienen seit einer Generation zwei Monarchen, die miteinander im Streit liegen. Es hat viel Spaß gemacht, Ramirus. Aber ich glaube nicht, dass Salvator in gleicher Weise machthungrig ist wie sein Vater. Das heißt, dass König Farah einen Überfall durch die Aurelius-Könige – oder durch dich – nicht mehr zu befürchten braucht.
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