Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
sie noch da, gleich darauf nicht mehr. Und ich glaube, es geschah immer im Freien.« Er strich sich eine lange hellbraune Haarsträhne aus der Stirn. »Jedenfalls wird es so erzählt.«
Hedda bemühte sich, mit dieser neuen Erkenntnis zurechtzukommen. Bedeutete das, dass ihr eigener Verlust in einem größeren Zusammenhang stand? Wenn ja, was in aller Welt war der Zweck der Sache? So angestrengt sie auch überlegte, sie fand kein Motiv, das ihr eingeleuchtet hätte. Es war schon vorgekommen, dass Kinder von Banditen entführt wurden, man lebte schließlich am Rand der Wildnis – die Sklavenhändler zahlten gut für ein kräftiges, gesundes Kind –, und deshalb ließ Lord Cadern die Wälder um seine Ländereien scharf bewachen. Aber die Banditen suchten sich kaum jemals einen Säugling aus, denn ein so kleines Kind machte zu viel Mühe. Hin und wieder wurde von Adeligen erzählt, die Bauernkinder raubten, um ein eigenes Kind zu ersetzen, das tot geboren war, doch selbst wenn daran etwas Wahres war, handelte es sich bestenfalls um Einzelfälle. Was dieser Hexer andeutete, ging in eine ganz andere Richtung.
Wenn solche Dinge öfter vorkamen, überlegte sie, dann würde sich vielleicht der Gnädige Herr darum kümmern. Das Leben eines einzelnen Bauern bedeutete ihm wenig, aber wenn er hörte, dass in seinem Herrschaftsgebiet fortwährend gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde … das könnte ihn zum Handeln bewegen. Und er hatte Mittel und Wege, an die Hedda und Dura nicht einmal denken konnten. Am Ende kannte er sogar einen Magister.
In ihrer Seele flammte wieder ein Fünkchen Hoffnung auf. Und daran, wie sich die Hand ihres Mannes auf ihrem Arm bewegte, erkannte sie, dass er den gleichen Gedanken hatte und dass in seiner Seele ein ähnlicher Funken brannte.
»Kannst du mehr darüber in Erfahrung bringen?«, fragte Dura den Hexer. »Über die anderen Kinder, die verschwunden sind? Ich zahle natürlich dafür.«
Wieder errötete der Hexer. »Dafür brauchst du nicht zu bezahlen. Schließlich wird kein Athra verbraucht. Es tut mir leid, dass ich heute nicht mehr für euch tun konnte. Was wollt ihr denn genau wissen?«
»Alles, was du zusammentragen kannst. In welchen Dörfern die Entführungen stattfanden. Namen, Daten, die Umstände …«
Bitte , flehte Hedda zu ihren Göttern. Bitte macht, dass die Verbrechen auf dem Gebiet des Gnädigen Herrn begangen wurden, damit er sich der Sache annimmt. Ich flehe euch an, gewährt uns wenigstens das.
»Ich werde überall herumfragen«, versprach der junge Mann. »Ehrenwort.«
Er blickte nach oben. Schon lagen dunkle Schatten auf den höchsten Wipfeln, und da und dort erstrahlte die Unterseite eines Astes in goldenem Licht. Die Sonne würde bald untergehen. »Wir sollten uns auf den Heimweg machen«, mahnte er.
»Ganz recht«, pflichtete Dura ihm bei, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Hedda sah zu, wie der junge Hexer sein Bündel schulterte, sich mit einem letzten Blick verabschiedete und die Richtung einschlug, aus der sie gekommen waren. Als er fort war, wurde es still im Wald. Totenstill. Nur ihre eigenen und Duras Atemzüge waren zu hören, das dumpfe Pochen ihres Herzens und in der Ferne das Rascheln der Nachttiere, die sich in ihrem Bau regten und darauf warteten, dass die Dunkelheit hereinbrach.
»Wir werden ihn finden«, gelobte ihr Mann. »Ich schwöre es dir.«
Kapitel 7
Der Wüstenwind fuhr in die dünnen Vorhänge und ließ sie Wellen schlagen wie Meerwasser vor einem Sturm. Nachdem die glühend heiße Sommersonne untergegangen war, wurde es in Jezalya endlich kühler, und die Menschen, die den ganzen Tag lang in Scharen durch den Palast geströmt waren, zogen endlich ab. Priester und Ratgeber, Diplomaten und Stammesälteste, irgendwann waren sie alle fort. Noch war keine Ruhe eingekehrt, doch lange konnte es nicht mehr dauern. Den Göttern sei Dank.
Siderea fasste sich an den Kopf, leitete mit einer Spur von Macht ein paar Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, an ihren Platz zurück und frischte die Locken auf, die sie sich am Morgen gelegt hatte. Wie beglückend, so etwas bedenkenlos tun zu können! Für eine Hexe wäre es unverantwortlicher Luxus gewesen, für banale kosmetische Zwecke Seelenfeuer aufzuwenden, aber eine Frau, die mit Leib und Seele an einen Ikata gebunden war und von der Macht dieses Wesens zehrte, konnte unbegrenzt Lebensenergie verbrauchen. Solange es auf der Welt Menschen gab, denen ihre Konjunkta Athra entziehen
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