Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
konnte, hatte sie Seelenfeuer im Überfluss.
Wie geht es nun weiter? Der Gedanke ihrer Ikata quoll aus den schattigen Winkeln ihres Unterbewusstseins und wurde erst in ihrem Bewusstsein in menschliche Sprache und menschliche Strukturen übersetzt. Siderea wusste, dass der Gedanke ursprünglich nicht mit menschlichen Begriffen, sondern mit den ungeformten tierischen Instinkten seines geflügelten Urhebers ausgedrückt worden war. Ihr eigenes Bewusstsein brachte ihn in eine verständlichere Form und garnierte ihn mit den Zutaten zivilisierter Verständigung, bis er als quasi-menschliche Stimme in ihrem Kopf ertönte. Der Vorgang war immer noch neu und manchmal etwas nervenaufreibend, doch wie jedes Mal bisher befriedigte sie der Kontakt mit ihrer anderen Hälfte bis in die Tiefen ihrer Seele. Wie unglücklich und unvollkommen war sie doch gewesen, bevor die Ikata in ihr Leben getreten war!
Wir werden tun, was getan werden muss , antwortete sie. Und ließ ihre Genugtuung über den Verlauf dieses Tages durch die mentale Verbindung sickern, um ihre geflügelte Konjunkta zu beruhigen.
Sie trat ans Fenster und schaute hinaus auf ihr neues Reich. Verglichen mit ihrem früheren Leben war es klein, aber für den Anfang reichte es aus. Jenseits von Jezalyas Mauern gab es nichts als Ödland, so weit das Auge reichte. Nach Norden und Osten wurde die Landschaft von Tafelbergen mit glatt gescheuerten Hängen beherrscht, die etwas Schutz vor Jezalyas wachsamen Blicken boten; nach Westen hin gab es nur freies Land, über das der Wind fegte. Irgendwo in weiter Ferne – viele Tagesmärsche entfernt – wälzte sich ein breiter Fluss mit schlammigem Wasser zwischen schmalen Streifen fruchtbaren Ackerlands dahin. Die Städte dort wurden von anchasanischen Truppen beschützt. In der Umgebung von Jezalya gab es nichts, womit man mühelos reich werden konnte, und keine Städte, die zur Eroberung reizten … aber dafür standen auch keine feindlichen Heere in der Nähe, und kein ausländischer Fürst beobachtete misstrauisch das Tun und Treiben der Stadt.
Bald würden sich die Wüstenstämme in Scharen unter Nasaans Banner sammeln. Wie sollte es auch anders sein, nachdem ihm die Götter ihre Gunst so deutlich bewiesen hatten? Die Stämme, die Jezalya Treue schworen, würden gesund bleiben und gedeihen, die Unabhängigen würden dagegen von einer seltsamen Mattigkeit befallen werden, aus der sie nicht einmal die rasende Blutgier reißen konnte, von der sie gewöhnlich besessen waren. Vielleicht würde früher oder später auch der Schwarze Schlaf über sie kommen, jene gefürchtete Seuche, die dem Menschen alle Kraft aus den Gliedern sog, bis er bloß noch stumpfsinnig dalag und immer wieder in einen todesähnlichen Schlummer fiel. Nach dem Glauben der Wüstenbewohner konnte man den Schwarzen Schlaf nur bannen, wenn man seine Opfer sowie sämtliche Verwandte, die die Krankheit in sich tragen könnten, zu Asche verbrannte. Ein starker Anreiz für einen Stamm, bei Nasaan Schutz – und durch ihn die Gunst der Götter – zu suchen, bevor die Seuche alle seine Angehörigen in Gefahr brachte.
Dass der Schwarze Schlaf nichts mit den Göttern, aber alles mit den männlichen Seelenfressern zu tun hatte, die Jezalya rastlos umkreisten und sich von allem nährten, was sich außerhalb seiner Grenzen befand, war ein Geheimnis, das außer Siderea niemanden etwas anging. Die großen Bestien strichen wie Hunde an einer Kette unermüdlich um ihre Herrin herum und saugten Jezalyas Feinde aus. Wenn sich ein neuer Stamm unter Nasaans Schutz stellte, schob Siderea die Grenzen ihres kleinen Reiches weiter hinaus, und die Männchen gehorchten ihrem Befehl und zogen sich zurück, obwohl sie erbost mit den Flügeln schlugen. Wer sich widersetzte, konnte womöglich noch in Ungnade sein, sobald die neue Königin zu ihrem ersten Flug aufstieg. Und das wäre unvorstellbar!
Warum kümmern wir uns um die Politik der Menschen? , wunderte sich Sidereas Konjunkta. Wir sind doch ihren Regeln und Gesetzen nicht unterworfen.
Weil sich das Erste Königtum gegen die Ikati stellte , antwortete Siderea in Gedanken. Weil wir eine Basis für unser Wirken brauchen, wenn wir nicht wollen, dass so etwas sich jemals wiederholt.
War das wirklich der einzige Grund, warum ihr Jezalyas Expansion so sehr am Herzen lag? Oder entsprang der Traum, sich ein Wüstenimperium aus dem Sand zu scharren und irgendwann einmal Anchasa selbst zu belagern, einem menschlichen Urbedürfnis? Es
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