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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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entschieden, die Angelegenheit bis auf Weiteres in meinen Händen zu belassen. Benachrichtigen Sie Bruder Lazarus, dass ich ihn am Pförtnerhäuschen zu sehen wünsche. Er soll seine Assistentin mitbringen – diese deutsche Nonne. Sie wird uns als Übersetzerin dienen.«
***
    Nachdem der Polizist ihn am Tor abgegeben hatte, war Kit in der Obhut des Pförtners zurückgeblieben, eines untersetzten Spaniers mit dicken Händen und pausbäckigem Gesicht. Die nächsten Stunden verbrachte Kit als eine Art Quasi-Gefangener im Pförtnerhäuschen. Er war weder eingesperrt noch besaß er die Freiheit, einfach wegzugehen; doch jedes Mal wenn er aufstand und den Ort zu verlassen versuchte, rannte der Pförtner hinter ihm her, schimpfte auf Spanisch und schob ihn in das Häuschen zurück. Kit wurde zu verstehen gegeben, dass er warten musste, bis eine angemessene Regelung für ihn getroffen werden konnte. In der Zwischenzeit erhielt er kaltes Zitronenwasser zum Trinken und kleine, trockene Kekse. Gelegentlich läuteten Kirchenglocken, und einmal kam ein Priester, um nach ihm zu schauen; er wechselte ein paar knappe Worte mit dem Pförtner und verschwand wieder. Und Kit, der so klug wie zuvor war, wurde sich wieder selbst überlassen.
    Es hatte keinen Sinn, sich streitsüchtig gegenüber dem Burschen zu verhalten, erkannte Kit; und das Streiten auf Spanisch war ohnedies eine Fertigkeit, die eindeutig seine Fähigkeiten überstieg. Die beste Alternative für ihn war, freundlich und fügsam zu bleiben und auf das zu warten, was auch immer das Schicksal für ihn vorsehen würde. Das Warten setzte sich fort, und der Tag ging auf den Abend zu. Kurz nachdem die Glocken im Turm des Klosters zum dritten Mal geläutet hatten, hörte Kit Stimmen in dem mit Kies ausgelegten Hof. Die Tür öffnete sich, und der Pförtner bedeutete Kit, nach draußen zu gehen. Dort traf er auf drei Geistliche: Zwei von ihnen waren richtige Hünen in staubigen, abgetragenen Habiten – manuelle Arbeiter, wie Kit befand –; bei dem dritten handelte es sich um den Priester, der vorher nach ihm geschaut hatte.
    »Gracias« , sagte Kit, der das wenige Spanisch demonstrierte, das er beherrschte.
    Der Priester lächelte, klopfte ihm leicht auf die unbedeckte Schulter und bedeutete ihm, ihnen zu folgen. Kit war insofern glücklich darüber, dieser Aufforderung nachzukommen, als es bedeutete, dass er endlich die Grenzen des Pförtnerhauses verlassen konnte. Und so trat er in den Tag hinaus, der freilich dem Abend bereits zu weichen begann. Die zerklüfteten grauen Gipfel, die im Licht der untergehenden Sonne rosarot leuchteten, ragten hoch über dem Klosterbezirk auf, der nun ganz im Schatten der Berge lag. Die Luft hatte bereits begonnen, sich abzukühlen; bald würde die Nacht hereinbrechen.
    Die kleine Gruppe stieg eine große, kurvenreiche Straße zu einem umschlossenen Hof hoch. Auf der einen Seite grenzte er an der großen Klosterkirche, die direkt in das Felsgestein des Gebirges geschlagen zu sein schien; an einer anderen Seite befand sich ein prachtvolles steinernes Bauwerk mit einer Barockfassade. Kit wurde in das Gebäude geleitet, wo ein gekachelter Vorraum in einen langen, getäfelten Korridor führte, in dem es nach Bienenwachs und Holzpolitur roch. Schließlich marschierten sie zu einem Warteraum, der nichts enthielt als Holzstühle, die rundum an den Wänden aufgestellt waren.
    »Siéntense, por favor«, sagte der Priester.
    Kit betrat den Raum, und die Tür wurde hinter ihm geschlossen. »Was für ein Theater«, murmelte er.
    Da er die meiste Zeit des Tages sitzend zugebracht hatte, entschied er, im Raum umherzugehen. Dabei beschäftigten ihn dieselben Fragen, die er sich selbst seit seiner Ankunft hier immer wieder gestellt hatte. Was taten die Leute hier? Warum konnten sie ihn nicht einfach gehen lassen? Wie standen die Chancen, ein ordentliches Hemd und eine anständige Hose zu bekommen? In dieser Umgebung ließ seine Kleidung aus Tierfellen ihn lächerlich aussehen – und er fühlte sich auch so.
    Er machte gerade seine vierte oder fünfte Runde im Raum, als er draußen im Korridor Stimmen vernahm. Er wandte sich genau in dem Moment der Tür zu, als sie sich öffnete. Sein Blick fiel auf einen älteren, weißhaarigen Priester in einer schwarzen Soutane und eine junge Frau im zackigen grauen Habit einer Nonne.
    »Mio Dio!«, rief der Priester aus, als er im Eingang dem wilden Mann gegenüberstand. Unwillkürlich machte er einen kleinen Sprung und

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