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Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Sitzfläche und rotem Seidenpolster. Die alte Frau blieb im Eingang stehen und musterte Charles, während Charles sich niederließ.
    »Möchten Sie Tee?«
    »Ja, gerne«, antwortete Charles. »Ich liebe eine schöne Tasse Tee.«
    Die ältliche Haushälterin nickte und verschwand irgendwo im Haus. Charles, der allein im Zimmer war, blickte sich darin um. Es war hell und luftig, wenn auch vollgestopft mit großen und kleinen Nippsachen unterschiedlicher Art – zweifellos eine Sammlung, die im Verlauf eines Lebens im Dienst der Regierung entstanden war. Welche Art von Beamter der Ehemann von Hana-Li gewesen war, wusste Charles nicht – nur, dass er zu irgendeiner Zeit in der Vergangenheit etwas mit der Britischen Handelskammer zu tun gehabt hatte. Er fragte sich, warum seine Großtante nach dem Tode ihres Mannes nicht nach Macao zurückgezogen war.
    Wenig später kehrte die alte Frau mit einer Porzellankanne und zwei flachen Tassen sowie einem Teller mit kandierten Mandeln zurück; sie trug dies alles auf einem Tablett aus Teakholz. »Sie sind weit weg von zu Hause«, stellte sie fest.
    »Ja, ich bin eine lange Strecke gefahren, um Hana-Li zu sehen«, erwiderte er. »Kommt sie bald – was glauben Sie?«
    Die Frau drückte ihre faltigen Wangen zusammen. »Ja, sehr bald.« Sie stellte das Tablett auf einen Tisch und begann einzuschenken. Dann reichte sie Charles eine Tasse und bot ihm den Teller mit den Mandeln an.
    »Danke schön«, sagte Charles und suchte sich ein paar Stücke von den Süßigkeiten aus.
    »Ich bin die Schwester von Xian-Li«, verkündete die Frau und nahm in dem gegenüberstehenden Sessel Platz. »Mein Name ist Hana-Li.« Sie zeigte ein breites Lächeln, das ihre Zahnlücken enthüllte; offenbar freute sie sich über den kleinen Scherz auf seine Kosten. »Hallo, Großneffe.«
    Charles setzte sich so schnell hoch, dass er fast seinen Tee verschüttete. »O, es tut mir leid!«, platzte es aus ihm heraus. »Ich habe dich für die Haushälterin gehalten.«
    Sie lachte. »Ich weiß. Die kleine Tam-Ling ist die Haushälterin.«
    »Bitte, vergib mir.«
    Mit einer wegwerfenden Handbewegung wischte sie die Entschuldigung beiseite. »Du ehrst mich mit deiner Anwesenheit, Neffe.«
    Charles machte eine kleine Verbeugung. »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, liebe Tante.«
    »Hast du meine Schwester gekannt?«
    »Allerdings«, antwortete Charles und gab sich den Erinnerungen hin. »Als ich ein kleiner Junge war, ließ sie mich für gewöhnlich die Hühner auf dem Bauernhof füttern. Sie war immer sehr korrekt.«
    Hana-Li nickte, während sie die Teetasse in Händen hielt. »Hatte sie ein glückliches Leben?«
    »Ja, sehr glücklich. Ruhig, aber glücklich, glaube ich. Sie war eine Freude für alle, die sie kannten.«
    Hana-Li lachte. »Du würdest das nicht sagen, wenn du sie gekannt hättest, als sie jung war. Sie zog immer an meinen Haaren und kreischte wie ein Affe, wenn wir gegeneinander kämpften.« Sie lachte erneut. »Und wir haben dauernd gegeneinander gekämpft.«
    »Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte Charles und stand auf. Er griff in seine Jackentasche und holte ein kleines Päckchen hervor, das in blaues Papier eingewickelt war. »Ich dachte, du würdest das vielleicht mögen.«
    Die alte Frau nahm das Geschenk, wickelte es aus und öffnete die Schachtel. Zum Vorschein kam eine Jadebrosche, die mit großer Fertigkeit so geschnitzt war, dass sie einer Lotusblume ähnelte. »O!«, rief Hana-Li aus. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    »Magst du es?«
    Sie schluckte schwer. »Weißt du, was das ist?«
    »Xian-Li trug es oft. Ich nehme an, es war ihr Lieblingsstück.«
    »Es war auch das Lieblingsstück unserer Mutter«, erklärte Hana-Li, die ihre Augen abtupfte. »Wir waren sehr jung, als sie starb, und wir waren sehr arm. Wir hatten fast nichts von ihr – mit Ausnahme von dieser Brosche und ein paar anderen kleinen Dingen. Vater gab sie Xian-Li, als sie heiratete.«
    »Dann bin ich froh, dass ich sie dir zurückbringen konnte.«
    »Hast du Kinder?«
    »Einen Sohn. Es ist jetzt erwachsen. Keine Töchter.«
    Hana-Li hielt ihm die Schachtel entgegen. »Gib sie ihm, damit er sie seiner Tochter geben kann, wenn die Zeit dafür gekommen ist.«
    Charles schüttelte leicht seinen Kopf. »Das ist ein freundlicher Gedanke. Aber ich glaube, sie bedeutet dir mehr, als sie jemals für ihn bedeuten wird. Ich bestehe darauf, dass du sie behältst.«
    »Danke schön«, seufzte sie. »Du machst eine alte Frau

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