Die Seelenquelle
sie das erste neue Mitglied seit über hundertfünfundzwanzig Jahren sein – ein Detail, das sie erstaunlich fand, jedoch vollständig im Einklang mit den Mitgliedern der merkwürdigen Gruppe stand, die zu umarmen sie sich immer noch abmühte.
Es hatte fünf Tage gedauert – nach Damaskus-Zeit -, bis die Mitglieder informiert und hier eingetroffen waren. Zuletzt erschien eine blauhaarige Greisin namens Tess, deren Aussehen an einen Vogel erinnerte. Doch sie war agil wie ein Frühlingslamm und beherzt wie ein Terrier; und so verschwendete sie keine Zeit, um Cass davon in Kenntnis zu setzen, dass sie in der einen Welt vierundachtzig Jahre alt war und hundertneunundzwanzig in ihrer Heimatwelt.
»Wie alt sind Sie?«, erkundigte sie sich freiheraus; ihre Stimme ließ die Überreste eines französischen Akzents erkennen.
»Fünfundzwanzig«, antwortete Cass.
Die grauen Augen der kleinen Frau verengten sich und wirkten durch ihren intensiven Blick stechend. »Faszinierend«, verkündete sie. »Das ist die Zeit, in der es für gewöhnlich passiert, wissen Sie?«
»In der was passiert?«, hakte Cass nach.
»Dies!«, rief Tess aus. Als sie den verwirrten Gesichtsausdruck von Cass bemerkte, beugte sie sich zu ihr und vertraute ihr an: »Erleuchtung, ma chérie. Erleuchtung. Wahres Wissen über die Art und Weise, wie die Welt funktioniert – Einsicht in die Natur der Wirklichkeit.«
»O.«
Der Blick der hellgrauen Augen wurde leidenschaftlich. »Jede religiöse Gestalt in der Geschichte erlangte Erleuchtung zwischen dem fünfundzwanzigsten und fünfunddreißigsten Lebensjahr. Das scheint der Zeitraum zu sein, in dem das menschliche Bewusstsein seine volle Leistungskraft erreicht und eine feinere spirituelle Auffassungsgabe erlangt. Vielleicht braucht es einfach so lange, um sich zu entwickeln. Jedenfalls handelt es sich um ein bestens dokumentiertes Phänomen. Lesen Sie es irgendwann mal nach.«
»Das werde ich«, beteuerte Cass. »Bei der ersten Gelegenheit.«
»Das Wissen von den verborgenen Antrieben des Universums und dem spirituellen Fundament von allem, was existiert.« Sie blinzelte. »Die meisten Leute kriegen das nie spitz, die armen Dinger. Ich finde es ungeheuer aufregend – Sie nicht auch?«
»Ich glaube, das fängt gerade bei mir an.«
Tess packte sie am Arm und drückte ihn mit einer der knochigen Hände. »Sie stecken für den Rest Ihres gesamten Lebens darin, ma chérie. Sie werden niemals zurückblicken.« Sie lachte. »Als ob man das könnte!«
Es waren auch andere da, und zwar noch elf – insgesamt sieben Damen und fünf Herren. Es handelte sich ausnahmslos um bejahrte Senioren, deren Lebensabend schon so weit fortgeschritten war, dass sie eigentlich der Alterssenilität zum Opfer gefallen sein sollten. Gleichwohl waren sie alle quicklebendig und voller Tatendrang; sie sprühten geradezu vor Vitalität. Es schien zum Wesen des Ley-Reisens zu gehören, dass es nicht nur das Leben verlängerte; außerdem erfreuten sich diejenigen, die es ausübten, einer Gesundheit und Lebenskraft, die weit über das hinausging, was man normalerweise erwarten konnte.
Rosemary Peelstick stellte Cass den verschiedenen Mitgliedern nacheinander vor – entsprechend der Reihenfolge, in der sie zum Treffen kamen. Anschließend folgte ein Galadinner, um den Neuzugang willkommen zu heißen.
Nach einem wohltuenden Tee im Garten rief Brendan die Gruppe zur Ordnung; und alle versammelten sich in der Genisa, um der Zeremonie beizuwohnen. Nachdem sich die erlauchten Mitglieder gesetzt hatten, nahm Brendan, der in seinem creme-weißen Anzug elegant aussah, seinen Platz neben einem erhöhten Tisch ein, auf dem sich eine brennende Kerze und eine Bibel befanden. Er hieß die Mitglieder willkommen und schlug mit seinem Hammer auf den Tisch, um die Versammlung offiziell zur Ordnung zu rufen. »Bevor wir zu den Festlichkeiten des Abends kommen, muss ich fragen, ob es irgendeine neue Angelegenheit gibt, die besprochen werden soll.«
Einer der Gentlemen – Cass erinnerte sich, dass er Parton hieß – hob seine Hand. »Ich habe eine Frage zu den Finanzen.«
»O, Dickie«, schalt ihn eine Frau, die Maude genannt wurde, »du hast immer eine Frage zu den Finanzen.«
»Maude, Schätzchen, das finanzielle Wohl der Gesellschaft ist wichtig.«
»Dem stimme ich zu – was auch der Grund dafür ist, dass ich mein gesamtes Portfolio in Brendans fähige Hände gelegt habe.« Sie lächelte süßlich. »Ich habe mehr Geld als Gott …
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