Die Seelenquelle
den Barken zu sehen war, in denen die Priester des Amun zurück nach Niwet-Amun und dem Tempel gebracht wurden. Obwohl die Sonne hoch oben am wolkenlosen Himmel brannte und das Leben entlang des Flusses wie immer gelassen und leise weiterging, war Benedicts kleine Welt bis ins Herz erschüttert. Er schaute auf das üppige grüne Ufer, das an ihnen vorbeiglitt, und alles, was er sah, war Verwüstung. In seinem Geiste erlebte er ständig aufs Neue den Überfall in Echnatons heiliger Stadt; er hörte die zornige Rufe und sah die Steine – sie trafen die Priester, trafen seinen Vater.
Er weigerte sich, seinen Platz neben dem Bett seines verletzten Vaters zu verlassen. Sein Herz war voller Schrecken und Furcht; und in seinem Elend saß er bloß da und rührte sich selten, während die Priester, die beteten und sich um den Verwundeten kümmerten, nacheinander kamen und gingen.
»Ich will nicht Falsches schwören«, sagte Anen zu ihm. »Die Verletzung deines Vaters ist sehr ernst.«
Benedict wandte sich dem Priester zu und sah ihn aus ängstlichen, verständnislosen Augen an.
»Aber du weißt«, fuhr Anen fort, »dass wir über große Fertigkeiten verfügen, und jedes nur erdenkliche Heilmittel werden wir für ihn einsetzen. Fasse Mut aus diesem Wissen.« Seine Hand legte er dem jungen Mann tröstend auf die Schulter. »Genau das habe ich geschworen. Im Namen des Amun – so soll es sein.«
Doch da Benedict nicht imstande war, die Sprache derer zu verstehen, die ihn umgaben, bezog er nur wenig Trost aus dieser Zusicherung. Dennoch vernahm er den hoffnungsvollen Tonfall in der Stimme des Priesters und fühlte dessen Ermutigung bei der sanften Berührung. Und so fasste er Mut, und er betete, wie er noch nie zuvor gebetet hatte. Er sprach das einzige Gebet, das er gut kannte, und er sagte es wieder und wieder, bis daraus nur noch die Worte wurden: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe … Amen.
Die Barke benötigte zwei Tage, um stromaufwärts zu Amuns heiliger Stadt zu segeln. Als sie den Tempel erreichten, hatte sich Arthurs Zustand etwas verbessert. Er war in der Lage, aufrecht zu sitzen und etwas Wasser zu sich zu nehmen. Und obwohl die Priester sich sträubten, ihm zu viel Essen zu geben, erlaubten sie ihm, ein wenig von dem mit Salz bestreuten Fladenbrot zu verzehren. Benedict war erleichtert und betrachtete dies als ein gutes Zeichen.
Nach der Ankunft in Niwet-Amun trug eine Gruppe von Dienern Arthur auf einer Pritsche vom Hafen zum Haus der Ganzheit und des Heilens, einem viereckigen Bauwerk, das den östlichen Teil des Tempelkomplexes einnahm. Dort wurde der Verletzte in einem kühlen, dunklen Raum auf ein niedriges Bett gelegt, wo er Tag und Nacht unter Beobachtung war. Die Tempel-Ärzte führten eine gründliche Untersuchung der dunkelvioletten Wunde durch, die inzwischen zu einer starken Schwellung der gesamten linken Seite des Kopfes geführt hatte. Ächzend und zähneknirschend erduldete Arthur das behutsame Abtasten der Ärzte.
»Du wirst bestimmt wieder gesund«, versicherte Benedict ihm.
Als die Ärzte fertig waren, sank Arthur in einen tiefen Schlaf und erwachte erst wieder bei Sonnenuntergang. »Wasser«, bat er; seine Stimme war nur noch ein krächzendes Flüstern.
Die diensttuenden Priester verstanden nicht, was er sagte, und so wiederholte es Benedict und stellte pantomimisch das Trinken aus einer Tasse dar. Einer der jüngeren Ärzte schenkte in einer flachen Schale Wasser ein, das mit Honig und Kräutern aufgegossen worden war, und reichte sie Benedict.
»Hier, trink das«, sagte er und beugte sich näher zu seinem Vater. »Wie fühlst du dich?«
»Schmerzt«, wisperte Arthur. »Innen … tut’s weh.« Mit Mühe drehte er seinen Kopf, doch die Anstrengung überwältigte ihn. »Wo sind wir?«
»Wir sind zurück im Tempel«, antwortete Benedict. »Ärzte sind hier. Sie kümmern sich um dich. Sie werden dich gesund machen. Du wirst wieder in Ordnung sein.«
»Gut.« Arthur zeigte die Andeutung eines Nickens. »Gut gemacht, Sohn.«
Der junge Arzt bot ein weiteres Mal die Schale an, und Arthur wurde ein wenig mehr zu trinken gegeben. Nach ein paar Schlucken versuchte er, sich aufzusetzen. Die Bewegung tat ihm weh, und keuchend vor Anstrengung lehnte er sich zurück.
»Jetzt ruh dich nur aus«, sagte Benedict. »Sie werden für dich sorgen.«
Anschließend schlief Arthur, und als er in der Nacht wach wurde, klagte er über die
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