Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seelenquelle

Die Seelenquelle

Titel: Die Seelenquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
Vom Netzwerk:
imstande, weiter hinzusehen; er drehte seinen Kopf und schaute weg. Das entsetzliche Geräusch schien nicht aufhören zu wollen. Als es schließlich endete, wandte Benedict sich wieder um und sah, dass ein akkurates rundes Loch in den Schädel seines Vaters gebohrt worden war. In der Mitte des Loches glänzte ein rotschwarzer Blutklumpen, der grässlich und bösartig aussah. Anen drehte sich um. Er zeigte Benedict ein wissendes Lächeln und gab ihm so zu verstehen, dass alles gut verlief.
    Der stämmige Priester trat von seiner Arbeit zurück, und ein anderer nahm seinen Platz ein. Der Arzt ergriff ein winziges goldenes Messer und fing an, vorsichtig an dem Blutklumpen zu schaben und ihn wegzuschneiden. Hin und wieder unterbrach er diese Arbeit, um das Blut abzutupfen, das aus der frischen Wunde sickerte, um Reste des abgeschabten Gerinnsels zu entfernen und seine Klinge in einer Schüssel mit Essiglösung zu reinigen. Bald war er damit fertig, und abermals kam die goldene Pinzette zum Einsatz, um auch jedes letzte Fragment, jeden kleinsten Splitter und jedes winzigste Teilchen des zerstörten Knochens zu entfernen. In dem Loch glänzte schließlich nur noch gräuliches, rosafarbenes Fleisch.
    Anen kam näher, und die anderen Priester traten zurück, um ihm zu ermöglichen, ihre Arbeit zu begutachten. Er beugte sich dicht über den Kopf, und mit unglaublich behutsamen Berührungen untersuchte er die operativen Schnitte und glatten Knochenränder. Dann inspizierte er die Wunde und sprach zu seinen Priesterkollegen. Einen Augenblick lang berieten sie sich intensiv, und anschließend ging Anen zu Benedict.
    »Unterhalb des Knochens hat es starke Blutungen gegeben«, berichtete der Priester, der unbedingt wollte, dass der junge Mann ihn verstand. »Die Blutung ist gestoppt und der Druck vom Gehirn genommen worden. Jetzt können wir nichts anderes mehr tun, als die Wunde zu beobachten und abzuwarten.«
    Benedict vernahm in der Stimme des Priesters einen beruhigenden Unterton und klammerte sich daran. »Danke sehr.«
    Anen drückte ihm die Schultern und kehrte zum Bett zurück, um das Verbinden der Wunde zu überwachen. Eine kleine Goldscheibe wurde in der Essiglösung gewaschen und dann in den Schädel eingesetzt. Die Priester, die ebenso geschickt wie effizient arbeiteten, verschlossen die Wunde, legten das Stück Kopfhaut wieder an seinen Platz und nähten die Ränder wieder zusammen. Danach wickelten sie immer wieder Streifen sauberen Leinens um den Kopf des Patienten. Als sie damit fertig waren, trug Arthur quasi einen Turban. Alle vier Ärzte traten zurück und verbeugten sich vor dem Patienten und vor Anen. Anschließend nahmen sie die Tabletts mit ihren Instrumenten und gingen bis auf einen hinaus, der zurückblieb, um den Patienten zu beobachten. Anen gab Benedict zu verstehen, dass er wieder zu seinem Vater kommen sollte.
    Trotz der gerade erlittenen schweren Operation schien sein Vater friedlich zu ruhen. Er atmete zwar flach, aber regelmäßig. Benedict nahm dies als ein gutes Zeichen. Er ließ sich auf dem Schemel neben dem Bett nieder und setzte seine Wache fort.
    Irgendwann vor Anbruch des Morgens gab es plötzlich einen Aufruhr draußen im Hof des Tempels. Benedict, der auf seinem Sitzplatz döste, erwachte vom Klang lauter Stimmen und dem Geräusch rennender Füße. Er schaute sich um und sah, dass der Priester, der Wache gehalten hatte, verschwunden war. Daraufhin ging er zur Eingangstür des Heilenden Hauses und blickte hinaus. Priester mit Fackeln liefen hin und her; sie schienen die Tore zu versperren. Kaum war diese Arbeit beendet, rannten sie fort; und auf dem Hof wurde es abermals still.
    Benedict kehrte in den Raum seines Vaters zurück. Er nahm eine Lampe, trat ans Bett und betrachtete seinen Vater genau. Obwohl es schwer zu erkennen war, nahm er eine Veränderung wahr: Sein Vater schien friedlicher zu ruhen, die Falten der Anspannung hatten sich gelockert, und seine Gesichtszüge wirkten gelassen. Als Benedict sich umdrehte, um die Lampe wieder auf ihren Ständer zu stellen, hörte er ein schwaches klingendes Geräusch. Er schaute zurück und sah, wie sich der Mund seines Vaters bewegte, doch kein Ton kam hervor.
    Abermals beugte er sich nah über ihn. »Ich bin hier, Vater. Was gibt’s?«
    Erneut bewegten sich die trockenen Lippen, und Benedict vernahm den winzigsten Hauch eines geäußerten Wortes.
    »Ich habe dich nicht gehört, Vater. Sag es noch einmal.«
    Die Stimme erhob sich zu einem

Weitere Kostenlose Bücher