Die Seelenzauberin
dass man alles aufgab, um hinter einem Mythos herzujagen? Ein derart tiefer Glaube war Kamala unbegreiflich; die Welt, in der sie lebte, war viel überschaubarer.
Ringsum war es plötzlich still geworden, und alle Augen richteten sich auf eine Stelle, wo sich die Luft bedrohlich kräuselte. Kamala hörte, wie Schwerter gezogen wurden. Soldaten und Hüter machten sich bereit … wofür? Wollten sie dem Magister, der gleich durch das Portal treten könnte, mit einfachem Stahl den Weg versperren? In dem Fall wäre der Kampf schnell entschieden.
Tatsächlich erschien ein Zauberer, und das Portal schloss sich hinter ihm. Als Kamala sein Gesicht sah, blieb ihr fast das Herz stehen.
Colivar.
In seinen schwarzen Augen glitzerte kalte Belustigung, als er sah, wie erschüttert die Gesellschaft über seine Ankunft war. Sein Hemd und sein Wams waren schwarz – morati-schwarz –, aber alle Anwesenden wussten offenbar, wer er war. Einige Männer steckten ihre Waffen wieder ein, sobald sie ihn erkannten, aber ein paar behielten sie in der Hand. Sie waren offensichtlich bereit, im Kampf gegen einen Zauberer zu fallen, wenn ihre Pflicht das von ihnen verlangte.
Glatte, olivfarbene Haut. Langes schwarzes schulterlanges Haar. Pechschwarze Augen in einem fein gemeißelten Gesicht. Der Anflug eines kalten, herablassenden Grinsens, als existiere die ganze Welt ausschließlich zu seiner Unterhaltung. Kamala erinnerte sich gut an ihn. Sie erinnerte sich auch an die letzten Worte, die er bei ihrer Ankunft vor Dantons Palast an sie gerichtet hatte, die Andeutung, dass er ihr finsterstes Geheimnis kannte: dass er nicht nur wusste, was sie wirklich war, sondern auch, was sie getan hatte.
Versuch nur, mich aus der Reserve zu locken , dachte sie trotzig, während sie sich anschickte, das Feuer in ihrer Seele in die richtigen Bahnen zu leiten. Ich bin bereit für dich.
Aber Colivars Blick glitt mit aufreizender Gleichgültigkeit über sie hinweg und heftete sich stattdessen auf Gwynofar. »Ich bringe Euch Nachrichten von der Ostfront, Majestät. Euer Sohn hat seine Streitkräfte zusammengezogen und lässt sie an die Grenze zu Skandir marschieren. Es scheint, als hätte er sich eine eigene Meinung dazu gebildet, wer sein wirklicher Feind ist.«
Aus Gwynofars Gesicht wich die Farbe, aber sie verzog keine Miene. »Seid Ihr Euch da sicher?«
»O ja. Und Ramirus hat es bestätigt.«
»Warum kommt er dann nicht selbst, um uns das zu sagen? Oder schickt Lazaroth?«
Colivar lachte kalt. »Es mag Euch nicht sehr glaubwürdig erscheinen, dass Ramirus und ich in dieser Sache Verbündete sind, aber ich versichere Euch, dass dem so ist. Was Lazaroth angeht, so wagte er nicht, sich mit Zauberkraft zu Euch befördern zu lassen, weil er befürchtete, Ihr wärt dem Heiligen Zorn schon zu nahe. Deshalb habe ich mich angeboten.« Ein sarkastisches Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. »Vielleicht scheue ich den ›Fluch der Götter‹ nicht ganz so sehr wie die meisten meiner Kollegen.«
»Manchmal sind Mut und Verwegenheit nur durch eine feine Linie voneinander getrennt«, murmelte Kamala.
»Ganz recht.« Nun richteten sich die schwarzen Augen doch auf sie. Für einen Moment ließ er sie die Macht spüren, die hinter ihnen lauerte, den Widerhall der finsteren Schrecken in ihren Tiefen. »Du bist doch die Hexe, die sich Kamala nennt, nicht wahr? Ich möchte dich nicht mit jemand anderem verwechseln.«
»Das ist mein Name.« Sie nickte, ohne sich provozieren zu lassen.
»Ich dachte, du hättest inzwischen Flügel bekommen? War das nicht dein Plan?« Er schüttelte den Kopf. »Wagst du es nicht, deine Macht so dicht am Heiligen Zorn zum Einsatz zu bringen? Oder fürchtest du, als bloße Hexe der Aufgabe nicht gewachsen zu sein?« Schatten von Spott hingen über dem Wort, und unausgesprochen schwang der Gedanke mit: Wir wissen beide, dass du genau das nicht bist. »In diesem Fall wäre ich dir gerne behilflich. Ich kann dir versichern, dass meine Zauberkräfte … verlässlich sind.«
»Ich danke Euch«, säuselte sie, »aber ich wollte noch warten, bis wir unserem Ziel näher wären. Dort wollt womöglich nicht einmal Ihr einen Zauber wirken. Nach allem, was man hört, ist das mit großen Gefahren verbunden.«
Wie seine Antwort ausgefallen wäre, wenn Gwynofar nicht eingegriffen hätte, wusste sie nicht. »Ich danke Euch für den Bericht, Magister Colivar. Zu meinem Bedauern lassen wir als Gastgeber sehr zu wünschen übrig, aber wie Ihr seht, sind
Weitere Kostenlose Bücher