Die Seevölker
welche
Antworten er darauf erhalten hat –, dies sind Probleme, über welche
die Historiker seitdem debattieren und über die wir niemals die kor-
rekte Antwort erhalten werden, denn Alexander behielt sie für sich. Er
schrieb seiner Mutter und teilte ihr mit, er würde allein ihr nach seiner
Rückkehr sein Geheimnis mitteilen; da er jedoch nicht nach Makedoni-
en zurückkehrte, starb das Geheimnis mit ihm.«27 Dieses Bedauern
über unsere Unwissenheit hinsichtlich der Orakelsprüche und die Re-
signation darüber, daß wir niemals die Chance haben werden, jemals
etwas über das zu erfahren, was sich im Orakel zwischen dem König
und dem Priester abgespielt hat, sind ebenfalls unangebracht: Wir
kennen die Antworten auf Alexanders Fragen – eingemeißelt in Stein
auf der Stele der Verbannten, und zwar vom Priester, der anderen Per-
son, die an jener berühmten, aber geheimen Zusammenkunft, teilge-
nommen hatte.
Besuchte Alexander das ägyptische Theben?
Alexander blieb vom Herbst –332 bis zum Frühjahr –331 in Ägypten.
Von seinen Aktivitäten in Ägypten sind am besten die Gründung der
Stadt Alexandria und sein Besuch in der Oase Siwa bekannt, denn sie
werden von allen seinen griechischen und lateinischen Biographen
geschildert; diese haben jedoch ihr Material aus nicht mehr erhaltenen
Schriften ausgewählt, die die Begleiter Alexanders über seinen Erobe-
rungsfeldzug in Asien und in Ägypten abgefaßt haben. Kleitarch, der
bereits kurz nach der Gründung dieser Stadt Bürger von Alexandrien
war, sammelte schriftliche und mündliche Informationen über Alex-
ander, um eine Biographie über ihn zu schreiben. Sein Werk ist haupt-
27 H. J. Bell: Egypt from Alexander the Great to the Arab Conquest (Oxford 1948), S. 30.
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sächlich aus Zitaten und Hinweisen bei späteren Autoren bekannt.
Das Problem, das wir jetzt aufwerfen werden, ist von untergeordne-
ter Bedeutung: Hat Alexander Theben, die Hauptstadt von Oberägyp-
ten, besucht? In den Berichten über seinen Aufenthalt in Ägypten, wie
sie in den späten Biographien zu finden sind, fehlen derartige Informa-
tionen, und es hat den Anschein, als habe er seine Reiseroute auf das
Delta oder Unterägypten – dessen alte Hauptstadt Memphis erwähnt
wird – sowie auf die künftige Stätte Alexandrias und auf die Wüsten-
straße zur nördlichen Oase beschränkt. Hinsichtlich seiner Reiseroute
machen allerdings Ptolemaios und Kallisthenes widersprüchliche An-
gaben. Während der eine behauptet, Alexander sei auf der gleichen
Route zurückgekehrt, auf der er auch gekommen war – nämlich ent-
lang der Küste und dann in südlicher Richtung –, gibt der andere für
die Rückreise eine völlig im Lande liegende Route an. Von den späten
Autoren flicht Curtius Rufus folgenden, von mir bereits zitierten Satz
ein: »Von Memphis aus drang der König auf dem gleichen Weg ins
Innere Ägyptens vor«, aber in einem Passus gegen Ende seines Berichts
stellt der gleiche Autor fest: »Ihn hatte der durchaus verständliche,
doch zur Zeit unerfüllbare Wunsch befallen, nicht nur das Innere
Ägyptens, sondern auch Äthiopien aufzusuchen; der vielgefeierte Kö-
nigssitz von Memnon und Tithonus hätte ihn in seinem Verlangen, die
Vergangenheit zu erforschen, fast über den Bereich der Sonne [Wen-
dekreis des Krebses] hinausgelockt. Aber der bevorstehende Krieg …
verbot ihm eine müßige Fahrt durch fremde Länder.«
Mit dem Palast des Memnon muß Curtius Rufus den von Ame-
nophis III. erbauten Tempel von Luxor gemeint haben, denn seine ko-
lossalen Sitzstatuen auf der Ebene westlich von Theben, gegenüber von
Luxor – jenseits des Nils – galten in der griechischen Welt als Darstel-
lungen des legendären Memnon.1
Curtius Rufus erweckt also den Anschein, als sei Alexander fluß-
aufwärts in das Innere Ägyptens vorgedrungen, allerdings nicht ganz
bis Assuan nahe am Wendekreis des Krebses, ja nicht einmal bis nach
Theben.
1 Siehe mein Werk: Ödipus und Echnaton, S. 36. 192
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Abb. 21: Tempel von Luxor. Alexander als Pharao Ägyptens vor dem Gott Amun-Re.
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Seinem ganzen Wesen nach – neugierig, forschend, aber auch eitel –
neigte Alexander kaum dazu, einen Besuch der Tempel der alten Haupt-
stadt zu unterlassen, die ihm aus Homer bekannt waren: Achilleus,
Alexanders Hauptheld, spricht von den unübertroffenen Reichtümern
im hunderttorigen Theben, wo zweihundert Streitwagen an jedem
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