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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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noch jemand, der auf Mona aufgewachsen war, hätte verstehen können, und selbst das nur dann, wenn er sich unschicklich dicht an die beiden herangedrängt hätte.
    Nach dem Ende ihrer Unterredung wich Graine ein kleines Stück zurück, grinste und küsste ihren Bruder auf die Nase. Cunomar errötete und versuchte, sich unter dem Kuss hinwegzuducken, ließ sich dann aber erweichen und erwiderte den Kuss seiner kleinen Schwester. Zwei Dutzend Erwachsene, fast alle von ihnen Eltern, sahen ihnen dabei zu, erinnerten sich an ihre eigene Kindheit und deren unbeschwerte Freiheit und wünschten sich und ihren Nachkommen die gleiche Ungezwungenheit.
    Graine rutschte von den Knien ihres Bruders wieder hinunter. Auf dem Weg zurück zu ihrer Mutter klopfte sie im Vorbeigehen leicht auf das Bein ihres Stiefvaters und schenkte dem fremden, grauhaarigen Römer, der ihr Land regierte, ein strahlendes Lächeln.
    Der Gouverneur wandte sich zu seiner Linken. »Ein ganz außergewöhnliches Kind. Wahrlich, Ihr seid gesegnet, meine Teuerste.«
    »Danke«, erwiderte Breaca. »So lange die Kinder noch lachen können, haben unsere Götter uns noch nicht verlassen.«
    In der Nähe ertönte ein Horn. Trommeln antworteten ihm. Und eine plötzliche Veränderung auf der Bühne bestätigte Graine zumindest bezüglich des ersten Teils ihres Traums. Eine Tür wurde geöffnet und zerschnitt den größten der tanzenden Faune auf dem Bühnenwandgemälde in zwei Hälften.
    Eine speziell zu diesem Zweck aufgestellte Truppe von ehemaligen, mittlerweile pensionierten Veteranen - strahlend anzusehen in ihren alten Paradeuniformen - trat auf die Tribüne und wandte sich dem Publikum zu. Genau gleichzeitig zogen die Männer ihre Waffen, rissen sie empor, streckten sie nach vorn und bildeten damit eine Allee aus erhobenen Kurzschwertern. Als die Schwertspitzen aneinander schlugen, ertönte ein Klang wie von Beckentellern; ein heller Gegensatz zu dem dumpfen Widerhall des Bühnenbodens. Durch diese in grausamer Schönheit erstrahlende Allee schritten langsam, wie zu einer Beerdigung, zwei Soldaten der Leibwache des Gouverneurs und eskortierten einen Gefangenen, den allein die Ketten an seinen Handgelenken von den anderen abhoben. In einem Akt kalkulierten Hohns oder als Zeichen seiner Zugehörigkeit, war er in genau die gleiche Paradeuniform gekleidet wie die Veteranen.
    Die Wirkung war dramatisch. Jeder weitere Schritt, den der Gefangene machte, wies ihn als einen Mann aus, der Mut besaß, der im Dienst für seinen Gott und seinen Kaiser außergewöhnliche Tapferkeit bewiesen hatte und der nun bereit war, sich im Interesse seines Gouverneurs auch noch selbst zu opfern. Der ehemalige Zenturio Marcellus mochte zwar nicht sonderlich viele Freunde haben, doch es gab eine Vielzahl von Männern, an deren Seite er bereits gekämpft hatte und die es verabscheuten, dass er nun als politisches Instrument missbraucht werden sollte.
    Die Trinovanter unter den Zuschauern plagten dagegen weniger Bedenken. Egal, wie es mit ihrer Zuneigung zu Rom und seinen Institutionen auch bestellt sein mochte, so war Marcellus doch ein Mann, der von allen gleichermaßen gehasst wurde. Ein träges Murmeln ging durch das Halbrund des Theaters, Ausdruck des Beifalls, dass dieser Mann nun ein Gefangener war, und zugleich Ausdruck der Missbilligung angesichts der Haltung der Veteranen. Jemand stampfte mit dem Fuß auf, und langsam entwickelte sich das Trommeln seiner Füße zu dem Rhythmus des Sterbeliedes der Trinovanter, einem komplizierten Muster aus langen und kurzen Takten, das man entweder von der Wiege auf lernte oder gar nicht. Andere stimmten mit ein, und das Stampfen verlief durch den gesamten Bogen, ähnlich einem dumpfen Donnergrollen, so dass es von Trommlern am Fluss hätte herüberschallen können.
    Das Stampfen erreichte seinen Höhepunkt und brach dann abrupt ab; niemand hätte sagen können, wer den Befehl dazu gegeben hatte. All das war keine offene Handlung der Feindseligkeit; man hätte sogar argumentieren können, dass sie dem Mann damit eine große Ehre erwiesen, und doch hatte es einen anderen Anschein gehabt. Ein wenig verzögert machte sich in kleinen, wellenartigen Schüben die Angst im Theater breit. Plötzlich begriffen diejenigen, die unter einem möglichen Sturm der Vergeltungsmaßnahmen am meisten zu verlieren hätten, was sie da gerade getan hatten. Sie begannen, sich miteinander zu unterhalten, doch zu laut und zu spät, um das Geschehene noch zu verbergen.

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