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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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das sicherlich beibringen. Die Beherrschung dieses Spiels wäre überdies sogar eine sehr nützliche Eigenschaft für einen Mann, der die Stämme befehligen möchte. Könnte er nur lernen, mit der List eines Cunobelin zu denken, dann gehörte der Krieg längst der Vergangenheit an.«
    »Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Corvus grinste; sie konnte es an seiner Stimme hören. Dann, allerdings nicht mehr in dem belustigten Tonfall, fuhr er fort: »Es wird jetzt zu einigen unschönen Szenen kommen. Ihr tätet gut daran, dennoch vollkommen gelassen zu erscheinen.«
    Dieselbe Warnung und mit dem gleichen Unterton hatte auch der Arzt ihr bereits zukommen lassen. Breaca beugte sich hinab, um Graines Umhang neu zu richten, und sagte dabei leise: »Ein Mann wird gekreuzigt werden. Ein Römer. Einer von denen, die bereits im Gefängnis festgehalten werden. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um seine Seele sicher nach Hause zu geleiten, aber wir werden die Anrufungen nicht laut aussprechen, und wir werden uns auch nicht beim Gouverneur beschweren.«
    Graine nickte. Bereits von dem Augenblick an, da sich alle auf ihren Plätzen niedergelassen hatten, starrte sie zu der vor ihr liegenden eichenen Tribüne hinüber. Nun fragte sie: »Wo sind eigentlich die Türen, durch die sie die Gefangenen reinbringen wollen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob da überhaupt Türen sind.« Breaca schaute in die gleiche Richtung, in die auch ihre Tochter blickte. Mit seinen sorgfältig geglätteten Eichenbohlen verlieh der Boden der Bühne einen guten Resonanzkörper. Vorhänge in dem Gelb der Trinovanter schmückten ihre Seiten und verbargen die Nebenplattformen. Ein auf die Rückwand aufgetragenes vielfarbiges Wandgemälde zeigte Darstellungen von Faunen, die Flöte spielten und gemeinsam mit etwas androgynen Nymphen um einen Wasserfall herumtollten, während sie von einem Gott in der Gestalt eines grasenden Stieres beobachtet wurden. Falls sich dort also die Türen befinden sollten, so verbargen die schwungvolle Darstellung und die schreienden Farben des Gemäldes deren Umrisse. »Bist du dir sicher, dass da Türen sind?«
    Graine runzelte die Stirn. »Ich glaube schon. Ich habe so etwas in der Art bereits geträumt, aber es muss nicht unbedingt hier gewesen sein.«
    Beunruhigt fragte Breaca: »Was passierte in deinem Traum?«
    »Jemand starb. Wir wollten das zwar verhindern, konnten es aber nicht. Cunomar war unglücklich.«
    Allerdings hatte Cunomar bereits den gesamten Winter in »unglücklicher« Stimmung verbracht, was zudem keinen guten Einfluss auf die anderen gehabt hatte. Im Augenblick saß er zur Rechten des Gouverneurs neben Tagos. Breaca schaute zu ihm hinüber. Um Cunomars willen wünschte sie, Eneit wäre hier. Sicherlich hätte der die Verbitterung ihres Sohnes darüber, dass er neben Tagos sitzen musste, ein wenig zerstreuen können. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und sah, wie er dies höflich und bereitwillig zur Kenntnis nahm.
    An Graine gewandt sagte Breaca: »Cunomar hasst jegliche Ungerechtigkeit; das ist seine große Stärke. Warum gehst du nicht einfach zu ihm und erzählst ihm, was du geträumt hast - und erinnerst ihn daran, dass wir hier lediglich Gäste sind und uns nicht in die Rechtsprechung des Gouverneurs einmischen dürfen? Würdest du das tun?«
    Graine runzelte die Stirn. »Spricht der Gouverneur Eceni?«
    »Ich glaube nicht, aber geh besser mal davon aus, dass er es doch kann. Sag also nichts Unhöfliches. Wir sind seine Gäste .«
    Für ein so ernsthaftes und aufmerksames Kind, wie Graine es war, konnte sie doch sehr schelmisch und verspielt wirken, sofern dies ihren eigenen Interessen oder denen der Götter zuträglich war. Fröhlich trollte sie sich davon und kletterte auf die Knie ihres Bruders, zog ihn am Ohr und flüsterte laut auf Latein, dass sie ein Geheimnis habe, das sie nur ihm erzählen wolle. Überrascht legte er die Arme um sie und neigte seinen Kopf hinab, so dass sie, mit etwas leiserer Stimme, direkt in sein Ohr flüstern konnte. Jene, die ihrem Flüstern lauschten, hätten von der nachfolgenden Geschichte genug verstanden, um zu erfahren, dass Graine ihre kastanienbraune Stute, die ein Geschenk ihrer Mutter an sie gewesen war, einem netten Mann übergeben hätte, der früher einmal ihren Onkel gekannt hatte. Danach aber verlor sich jeglicher Zusammenhang in einem Durcheinander von aufgeregtem, unverständlichem Kindergeplapper, das nur

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