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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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Kreuze hätten einnehmen müssen, denn sie hatten zugelassen, dass sich ein Gefangener seiner eigenen Exekution entzog. Die Legionen schauten keineswegs wohlwollend auf Männer, die in der Ausübung ihrer Pflicht versagten.
    Der erste Offizier, der Marcellus erreichte, kniete nieder, legte die Finger flach gegen die Hauptschlagader am Hals des Gefangenen und suchte nach Lebenszeichen, die er doch nicht mehr finden würde. In dem Glauben, sich damit nützlich machen zu können, riss er das Schwert aus der leblosen Brust - öffnete damit aber zugleich dem wahren Ozean an Blut im Inneren des Brustkorbs die Tore. Geradezu durstig saugte der Eichenboden der Bühne den roten Lebenssaft in sich auf. Und mit diesem Anblick hatte auch das entsetzte Schweigen ein Ende, entlud sich aufs Neue die vielkehlige Stimme des Publikums, schuf ihr eigenes Meer an verwirrten Ausrufen.
    Der hiesige Gouverneur war jedoch niemand, der grundlos Todesurteile über seine eigenen Männer verhängte. Mit einer knappen Bewegung seines Kopfes lenkte er die Aufmerksamkeit des alternden Zenturio der Neunzehnten Legion auf sich. »Albinus? Ich glaube, das war Euer Mann. Bitte kümmert Euch darum, dass er entfernt wird. Im Übrigen möchten die Veteranen womöglich Anspruch auf seine Leiche erheben. Sie sollen sie bekommen.«
    Bereitwillig formierte der alte Mann auf der Tribüne eine Ehrengarde und ließ die Leiche jenes Mannes, den sie zwar nicht gemocht hatten, wohl aber respektierten, entfernen.
    In seinem Tode hatte sich das Andenken an Marcellus von einem kriegshungrigen Offizier, der im Alkoholrausch seine Männer missbrauchte, in das eines Helden verwandelt, der offen seine Meinung vertrat, wenn alle anderen schwiegen. Im Augenblick jedoch war er bloß eine Leiche, aus der Blut und einige noch unangenehmer riechende Flüssigkeiten auf die neue Bühne des Gouverneurs sickerten. Die Veteranen bildeten eine Trage aus zwei Schilden, auf der sie Marcellus fortschafften, und taten wahrlich, was sie nur konnten, um die Verschmutzung in Grenzen zu halten. Kurz darauf erschien ein in Stammeskleidung gewandeter Krieger, der feinen Sand über die Schmiererei schüttete, so dass wenigstens ein Großteil des Blutes wieder aufgesogen wurde. Zwei weitere Diener harkten eine Ebene unter ihm mit Rechen durch den Halbkreis zwischen der ersten Sitzreihe und der Bühne, um auch den dortigen, etwas höher aufgeschütteten und helleren Sand von den verspritzten Überresten des Soldaten zu reinigen.
    Breaca beobachtete, wie Corvus auf seinen Platz zurückkehrte. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten, in seinen Augen jedoch blitzte eine Warnung auf: Das war noch nicht alles. Noch kannst du nicht aufatmen. Sie hob Graine auf ihren Schoß und fragte leise: »Ich glaube, jetzt kommt erst einmal eine Pause. Musst du nach draußen?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Breaca beugte sich hinab, küsste sie und fuhr mit noch leiserer Stimme fort: »Ist es das, was du geträumt hattest und was Cunomar so zornig machte?«
    »Nein, das war es noch nicht, aber es war hier an diesem Ort.« Graine erschauderte. »Aber vielleicht war es auch nicht heute.«
    »Dann werden wir einfach abwarten und weiter zuschauen. Wenn irgendetwas Schlimmes sich anbahnt, lässt du es mich dann wissen, sobald du es weißt?«
    »Ich werde es versuchen.«
    Wenn Graine auch nicht austreten musste, so musste es doch eine Vielzahl von Erwachsenen, die nämlich am Morgen bereits Wein getrunken hatten. Es gab ein lautes Füßescharren und Plätzetauschen, und Männer und Frauen eilten über die langen Treppen an der Rückwand des Theaters, die von den oberen Sitzreihen bis ganz nach unten führten, aneinander vorbei. Breaca hielt Graine weiterhin auf ihrem Schoß und unterhielt sich mit Cygfa leise über Belanglosigkeiten, während Tagos den Gouverneur mit der spannendsten Episode von jener Eberjagd ergötzte, mit der er und Dubornos ihren Eintritt in die Gemeinschaft der Erwachsenen gefeiert hatten.
    Der Gouverneur, der diese Geschichte mit ziemlicher Sicherheit schon einmal gehört hatte, oder zumindest andere ihrer Art, war augenscheinlich dennoch völlig in den Bann der Erzählung geschlagen, und nur jemand, der ihn so aufmerksam beobachtete wie Breaca, konnte das Zeichen erkennen, das er unterdessen den Offizieren am Rande des Theaters gab, womit er befahl, den nächsten Teil der nachmittäglichen Demonstration beginnen zu lassen.
    Die Sitzreihen hatten sich wieder gefüllt, und die

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