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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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Schließlich verstummten auch sie.
    Alles wartete. Hätten auf den hohen Mauern des Theaters Vögel gesessen, hätten in diesem Augenblick sicherlich selbst sie den Atem angehalten, hätten aufgehört, mit den Flügeln zu schlagen, und nur noch gewartet.
    Ein auf Lateinisch gesprochener Befehl wurde erteilt. Die beiden Unteroffiziere der Leibwache führten den Gefangenen bis an den Rand der Tribüne. Alle drei Männer salutierten.
    Der Gouverneur erhob sich, um ihren Gruß zu erwidern. In seinem Verhalten war keine erkennbare Veränderung eingetreten, und dennoch, in der Stille, die nun seine Ansprache erwartete, wurden dreitausend Stammesangehörige, Männer und Frauen, die wartenden Veteranen sowie ein Dutzend ebenfalls anwesender Offiziere noch einmal daran erinnert, dass dieser Gouverneur einst der Anführer zweier kompletter Legionen in einem Feldzug gewesen war, der einen ganzen Sommer andauerte, dass er folglich genau wusste, was es bedeutete, als Soldat auf dem Schlachtfeld zu stehen.
    Seine Stimme hatte schon Armeen mitten im Chaos des Krieges befehligt, doch die Akustik des Theaters war das Beste, was die Ingenieure seines Kaiserreichs zu vollbringen vermochten - kein Schlachtfeld konnte damit mithalten. Als er zu sprechen begann, schien es sowohl jenen in den hintersten Sitzreihen als auch denen auf den vordersten Bänken, als ob der Gouverneur kaum die Stimme erhöbe und doch jeden Einzelnen von ihnen direkt anspräche.
    »Marcellus, Veteran der Legionen, ehemaliger Zenturio der Zweiten Kohorte der Neunten Legion, Empfänger von drei Kronen für Tapferkeit im Kampf, Ihr werdet des Mordes an Rithicos beschuldigt, Geschirrmacher und Gutspächter auf Euren Ländereien. Drei Zeugen haben dies bestätigt, zwei von ihnen Bürger dieser Stadt, einer von ihnen ein Stammesangehöriger, der unser Vertrauen genießt. Eure Schuld steht außer Frage. Das Urteil wurde bereits gefällt. Ihr werdet heute sterben, im Angesicht jener, denen Ihr Unrecht angetan habt. Es ist Euer Recht, noch einmal das Wort zu ergreifen, ehe das Urteil vollstreckt wird. Ist das Euer Wunsch?«
    »Nein. Aber ich möchte Euch vor Augen führen, wer es ist, über den Ihr dieses Urteil verhängt habt.«
    Die Bühne gehörte nun ganz allein Marcellus. Seine ehemaligen Waffenbrüder gewährten ihm für diesen letzten Auftritt allen Platz, den er nur brauchen könnte, um sein persönliches Drama aufzuführen. Die Reihen, welche zuvor noch die Allee für seinen Einmarsch gebildet hatten, legten ihre nackten Klingen in übereinander gekreuzten Paaren auf der Bühne ab. Von Breacas Platz aus, tief unten auf der ersten Bank, erschienen sie wie ein See aus in Sonnenlicht gebadetem Eisen, und es war schwer, jenseits des hellen Strahlens noch etwas zu erkennen. Von den höher gelegenen Sitzreihen aus betrachtet, würde ihre Symbolik sicherlich nachhaltiger zum Ausdruck kommen; eine Anordnung von Kriegswaffen, dargeboten in einem Zeichen des Friedens.
    Marcellus wartete nicht erst, bis sich wieder Stille über das Theater herabsenkte, sondern beugte sich ohne jede Dramatik vornüber, legte die Handflächen auf den Boden und ruckte ein wenig mit den Schultern, so dass sein Kettenhemd sich auf links drehte und über seinen Kopf glitt; eine Panzerhaut, gefertigt aus schimmernden Gliedern.
    Das Klirren von Eisen, welches auf Eisen schlug, schallte über den Bühnenboden, während der ehemalige Zenturio sich niederkniete und das Hemd zusammenlegte, ganz so, wie er es auch am Ende eines Tages nach einem Feldzug getan haben mochte. Unter dem Hemd trug er eine einfache, wollene Tunika, die in der Taille mit einem Gürtel zusammengefasst war. Auch diese zog er aus, faltete sie zusammen und legte sie auf das Kettenhemd. Keiner schritt ein, keiner versuchte, ihn an seinem Tun zu hindern.
    Der Gefangene erhob sich wieder, und es schien, als ob er einen Großteil seines Lebens damit zugebracht hätte, ohne seine Tunika unter der Sonne zu marschieren. Er befand sich nicht mehr in Kampfverfassung; sein Bauch hing über seinen Gürtel hinab, halb so dick wie der Bauch einer Schwangeren, und doch hatte er nicht immer so ausgesehen. Die Narben auf seiner Brust waren zahlreich und von unterschiedlicher Struktur; während seiner Dienstjahre war er auf Schwerter, Speere und Pfeilspitzen gestoßen, und nicht allen hatte er ausweichen können. Das Zeichen des Stiers in der Mitte seines Brustkorbs war alt und das Brandmal mit der Zeit verblasst. Doch vielleicht erklärte ja gerade

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