Die Seherin der Kelten
ich dein Wesen eines Tages erfassen können. Als Bán jedoch kann ich nur Nemain gehören.«
Aber du bist nicht Bán. Auf diesen Namen hörst du doch in Wirklichkeit gar nicht, und auch in deinen Träumen siehst du dich nicht als Bán. Ich frage dich abermals: Als Valerius, wem dienst du da?
In Gegenwart eines Gottes sollte man ohne gründliche Überlegung besser nicht zweimal das Gleiche antworten. Valerius stand in der Mitte der Höhle und beobachtete, wie das Licht seiner Kerze durch die Lücken zwischen den eisernen Stangen sickerte. Einst hätte das Licht dieser einen Kerze ausgereicht, um ein Feuer auf dem See zu entfachen und den Ort wieder zum Leben zu erwecken; jetzt aber vermochte es dies nicht mehr. Der Gott stand auf völlig regungslosem Wasser, während verdorrte Flammen kaum mehr an seine Füße heranreichten. Valerius ließ seinen Geist sich ausdehnen, bis er die Flammen berührte, und tastete dort nach einer möglichen Antwort.
Drei Jahre lang hatte er auf Hibernia einfach nur als Valerius gelebt und gedacht, er wäre gottlos. Nun wusste er zwar, dass er eben doch einem Gott angehörte, hatte aber immer noch nicht herausgefunden, wer er selbst eigentlich war; abgesehen davon, dass er nicht Bán von den Eceni war und auch nicht länger Julius Valerius, Bürger Roms und Dekurio der thrakischen Kavallerie.
Zu Füßen des Stiergottes neigte der Hund den Kopf und trank von dem Licht des Feuers. Sein Nackenpelz schien ein wenig verfilzt an jener Stelle, wo einst die tödliche Wunde gesessen hatte, an der er verblutet war - doch vielleicht schien das nur hier so, an diesem Ort. Er reckte schnüffelnd die Nase in die Luft, stellte die Ohren auf, trottete ein Stück vorwärts und übersprang die Eisenstangen, als ob sie lediglich Stöckchen wären, die flach auf dem Boden lagen. Als er bei Valerius ankam, drückte er die Nase in dessen schlaff herabhängende Hand, und abermals, wie schon in der Kammer der Ahnen, empfand Valerius ihre Wärme und ihre Nässe als so real, als ob es eine echte Hundeschnauze wäre.
In der Gegenwart der Götter geschah nichts aus bloßem Zufall. Valerius kniete sich nieder, wie auch Mithras einst gekniet hatte, und kraulte den Traumhund hinter den Ohren. Er ließ den Blick hinaus über das Wasser schweifen und fragte: »Ist dies mein Hund oder deiner?«
Wenn du mir huldigst, dann ist, was mein ist, auch dein.
Wenn … Bebend überspannte dieses eine Wörtchen die Luft zwischen dem Mann und dem Gott, öffnete Türen, die Valerius lange für verschlossen gehalten hatte.
Wenn … Der Gott schritt durch Alleen aus Feuer. Sein Gesicht war das eines Jünglings, seine Augen so alt wie die Ewigkeit. Sein Haar war von der Farbe der Morgensonne, und in seinem Lächeln lagen die Schönheit und die wilde Kraft eines jeden Sonnenaufgangs, den die Welt jemals gesehen hatte. Kein Mann konnte diesem Gott gegenübertreten, ohne Liebe für ihn zu empfinden, und keiner konnte ihn wieder verlassen, ohne darüber tiefes Bedauern zu verspüren.
Fünfzehn Jahre lang hatte Valerius diesem Gott gedient; fünfzehn Jahre, in denen er nie eine solche Begegnung erlebt hatte, und damit auch fünfzehn Jahre des Dienstes ohne echte Liebe. Nun aber fühlte er sich von einem Verlust erdrückt, der so schwer wog wie ein ganzer Berg.
Voller Qual erwiderte er: »Aber ich kann nicht mehr der sein, der ich einmal war. Ich kann nicht mehr zurück.«
Möchtest du denn wieder zurückkehren?
» Nein. Man hat mir mein Geburtsrecht geschenkt. Jetzt bin ich endlich der, der ich wirklich bin.« Verzweifelt suchte Valerius nach Nemain, und er fand sie, und nichts hatte sich zwischen ihnen verändert, außer dass seine Seele langsam ihr Gleichgewicht fand und seine Verwirrung nicht unerhört blieb. Nemain erzwang keine Entscheidung von ihm, so wie auch Mithras nichts erzwang. Und dennoch sah Valerius keinerlei Möglichkeit, wie ein Mann zwei so grundverschiedenen Göttern zugleich dienen könnte, ohne dabei den Verstand zu verlieren.
Das Bild einer Flamme zitterte über den ebenen Spiegel aus Wasser. Der Gott stand nun so dicht bei Valerius, dass dieser ihn hätte berühren können. Leise sprach der Gott: Wer bist du jetzt, Valerius, Wanderer zwischen den Welten? Julius Valerius war ebenso sehr ein Mann Roms, wie auch Bán ein Kind der Eceni war, und keiner von beiden lässt sich so einfach abtöten, egal, wie sehr du dich auch darum bemühen magst. Musst du dich nun also wirklich erst von dem einen lossagen, um dem
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