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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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Wasser in sich aufzunehmen, den geradezu stechend blauen Himmel und den Schrei des einjährigen Bussards, der, vom Winter zerzaust und zu hungrig, um zu warten, bis es richtig hell war, bereits jetzt auf die Jagd ging. Valerius spürte den Schmerz des Vogels, doch auf eine angenehme Art und Weise. Und er stellte fest, dass er den Blick nach vorn und in die Zukunft des Tieres zu richten vermochte, in eine Zeit, wenn dessen Schmerz gelindert würde durch Futter und Ruhe und das spielerische Dahingleiten auf den hoch unter dem Himmelszelt brausenden Winden. Und das überraschte Valerius; er hatte nicht gewusst, dass die Öffnung seiner Seele durch Nemain ihm tatsächlich erlauben würde, in die Zukunft zu schauen, und schon gar nicht in die eines ungeduldigen Vogels. Erneut entdeckte er die Gegenwart Nemains also als ein wahres Geschenk, und er badete darin, so wie er in dem Wasser badete.
    Später, abgetrocknet und wieder angekleidet, sammelte er das Gold und den Wein vor dem Eingang der Höhle ein und warf alles in den Fluss. Das war zwar nicht länger seine Pflicht, doch er wünschte Mithras auch nichts Böses, und dies war eine Gefälligkeit, die allein er dem Gott erweisen konnte. Jegliches aus der Erde entspringende Quellwasser war zwar eigentlich Nemain geweiht, doch Nemain bildete auch das Tor zu den anderen Göttern; sie allein konnte derlei Dinge also unbeschadet vernichten. Der Stiermörder vermochte das nicht. Als der See schließlich die letzte schimmernde Kette in sich aufnahm, ließ auch der Schmerz in Valerius’ Zähnen wieder nach. Die Perle hingegen ließ er an Ort und Stelle. Denn sie war in ganz anderer Absicht in den Haselnussbaum gehängt worden und von jemandem, der die Liebe des Gottes zu allem Schönen verstand.
    Nun gab es nichts mehr, das Valerius noch davon abhielt, in die Höhle einzutreten. Darauf bedacht, wachen Verstandes zu bleiben, entzündete er eine der Talgkerzen, die er mitgebracht hatte, und zwängte sich durch den weiß angemalten Höhlenmund, während er sich innerlich gefasst machte auf die mühselige Kriechpartie auf dem Bauch durch einen finsteren, immer enger werdenden Tunnel, der ihn schließlich dem Gott zuführen würde.
    Der Zugang zumindest erfolgte noch auf dem althergebrachten Wege. Wie schon einmal erreichte er auch jetzt wieder jene Biegung des Tunnels, wo der Boden in einer steilen Schräge abfiel und wo die einzige Möglichkeit, noch weiter voranzukommen, darin bestand, die Arme vor sich auszustrecken und den Körper an den Fels anzuschmiegen. Dann, für einige lange Augenblicke, schien es, als käme er nicht mehr vor und auch nicht mehr zurück, und gewaltsam musste Valerius den Impuls, in Panik auszubrechen, niederringen. Als er schließlich doch an der Öffnung anlangte, die in die Höhle führte, erschien ihm diese wie eine segensreiche Erleichterung; eine Erleichterung, die er noch ebenso deutlich vom letzten Mal her in Erinnerung hatte, wie er sie nun erneut empfand.
    Er war nicht mehr der Mann, der er einst gewesen war; er wusste diesen Ort nun noch mehr zu würdigen. Die Ahnenträumer der Hibernier hatten die Traumkammer, in der Valerius seine langen Nächte der Einsamkeit verlebt hatte, aus schlichtem Stein gebaut und sie bewusst so gestaltet, dass keinerlei Licht eindrang. Hier dagegen hatten die Götter - und ohne die Hilfe irgendwelcher Träumer - mitten in einem Berg, der so hoch war, dass er bis an die Wolken heranzureichen schien, ein sich nach oben emporschwingendes Gewölbe geschaffen. Und in dieses Gewölbe hatten sie einen See gebettet, über den sich ein zarter Schleier aus winzigen Wassertröpfchen spannte, und sie beide waren, wenn das Licht einer Kerze sie berührte, so schön, dass einem schier das Herz zerspringen mochte. Niemals hatte Valerius etwas ähnlich Schönes gesehen.
    Schon einmal hatte die innere Erschütterung angesichts dieses Glanzes ihn zu Mithras geführt, und er hoffte, dass es auch dieses Mal wieder so sein würde. Tastend entzündete er die zweite seiner drei Kerzen und stellte sie auf einen Felsblock. Dann schloss er die Augen und wartete einen Moment, ehe er zu jener Stelle hinüberblickte, wo der See gelegen hatte und die hinabtropfenden Juwelen aus Wasser schwebten, die zitternd und wie aus Gold gezogene Tränen des Gottes von der Decke geregnet waren.
    Scharf, doch zu spät kehrte der Schmerz in Valerius’ Zähne zurück, und ohnehin war er bereits viel zu sehr gefangen von seinen Erwartungen, als dass er die

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