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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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nicht die Opfergaben in Form von Honig und Getreide und kleinen Goldstücken gewesen, die sorgsam auf den Vorsprüngen rings um die Öffnung platziert waren.
    Nun, vier Jahre später, erkannte Valerius, dass ein anderer Vater - der dem Ort offenbar unübersehbar seinen Stempel aufdrücken wollte - befohlen haben musste, dass in einem etwa dreißig Zentimeter breiten Streifen um die Höhlenöffnung herum weißer Kalk aufgetragen wurde, so dass die schwarze Narbe, welche der Eingang der Höhle einst dargestellt hatte, mittlerweile geradezu in das Tal hinabzubrüllen schien, damit jeder, ob er diesem Gott nun huldigte oder nicht, wusste, wo sein wahres spirituelles Zuhause läge.
    Valerius hätte dies nicht befohlen und auch nicht, so glaubte er zumindest, jener grau gewandete Tribun, der zu seiner Zeit noch der Vater des Ordens gewesen war. Denn diesem Mann war es stets lieber gewesen, es mit den Dingen auf die althergebrachte Art und Weise zu halten, und gewiss hätte er es auch nicht nötig gehabt, seine Gegenwart geradezu in die Welt hinauszuschreien. Valerius fragte sich also, ob der neue Gouverneur sich wohl auch das Brandzeichen des Stiermörders aufdrücken lassen würde: Denn dieser Akt trug das Zeichen eines Mannes, für den die Selbstvermarktung und die Beweihräucherung durch andere geradezu Lebenselixiere zu sein schienen; alles Dinge, die man Suetonius Paulinus durchaus nachsagte.
    Heute jedoch, gerade heute, war die Wirkung nicht ganz die gewünschte. Der Wind hatte aufgefrischt und spielte mit dem Wasserfall, so dass der Anblick des weiß umrahmten Schlundes zunächst ein wenig überlagert wurde durch den noch heller strahlenden Sprühregen der in die Tiefe stürzenden Wassermassen und Valerius das wahre Ausmaß des Grauens erst erkannte, als er unmittelbar davor stand.
    Es war niederschmetternd hässlich. Passend zu der Bemalung waren auch einige pompöse Opfergaben am Eingang der Höhle hinterlegt worden. Von einem Pflock, den man in den Fels geschlagen hatte, hing eine Goldkette herab; daneben lag ein noch unversehrter Weinkrug, in dessen wächserne Versiegelung Claudius’ Zeichen geprägt worden war, damit dadurch das Alter und der Wert des Jahrgangs noch besser zur Geltung kämen; und wie ein schimmernder Tropfen Milch in all dem Sprühnebel baumelte von einem Haselnussbaum, der seine Zweige über den Wasserfall hängen ließ, eine einzelne Meeresperle herab, aufgefädelt auf einen dünnen, goldenen Draht. Allein Letztere kam der heiligen Aura dieses Ortes auch tatsächlich zugute. Plötzlich durchzuckte ein Schmerz Valerius’ Backenzähne. Das war der erste Hinweis auf die Verstimmung des Gottes.
    Allerdings wollte Valerius jenem, dem er einst gedient hatte, nicht besudelt mit dem Glanz unaufrichtig dargebrachter Opfergaben entgegentreten. Er legte also sein Reisebündel ab und entfernte sich wieder von der Höhle. Dann blieb er stehen, um zu warten und zu beobachten. Als er sich sicher war, dass weder Menschen noch Tiere seinen Aufstieg verfolgt hatten, zog er sich aus und kletterte vorsichtig über die nassen Steine und bis zu dem See am Fuße des Wasserfalls hinab.
    Tosend umsprudelte ihn das Wasser, hell wie die Gischt und ungezügelt. Selbst zehn Jahre Dienst im Westen vermochten nicht die Ehrfurcht zu schmälern, die er angesichts dieser puren Kraft eines Flusses empfand, der über einen Felsvorsprung hinabstürzt. Ähnlich einem Kind breitete er die Arme aus und ließ das Wasser sein Gesicht und seine Brust wie mit kleinen Nadelstichen übersäen, ließ sich davon geradezu abhäuten, bis er endlich ganz wach war. Das Brandmal auf seinem Brustbein kribbelte, doch nur ein wenig; längst vorbei war die Zeit, als es Valerius mit Schmerzen stets aufs Neue an dessen Pflichten zu erinnern pflegte.
    Wieder etwas vorsichtiger trat er dann von dem letzten Stein hinab und in das Wasser. Im Gegensatz zu dem Strom, der an der Traumkammer vorbeifloss, verschlug ihm das Wasser hier nicht den Atem; dieses Mal vermochte er noch zu denken, konnte sich nicht mehr selbst verlieren. Dankbar für diesen Umstand tauchte er den Kopf unter und ließ die reißende Strömung auch den Rest seiner Haut reinigen.
    Mit der körperlichen Reinheit ging auch ein neues Bewusstsein einher. Er war auf Mona nicht willkommen gewesen, und der Schmerz darüber begleitete Valerius noch immer. Selbst jetzt schwand er nicht, und dennoch war Valerius noch am Leben, dennoch stand es ihm frei, die beißende Luft und das kristallklare

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