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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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plötzlich sein Schatten vor ihr erschien; wenn dieser die Wandlung beklagte, die in ihrem Herzen vorgegangen war, die Abkehr von der zielstrebigen Suche nach Rache, die sie einst so ganz und gar ausgefüllt hatte. Davor fürchtete sie sich noch immer, mehr, als vor manch anderen Dingen. Trotzdem bemühte sie sich nun - da sich Graine an ihre eine Seite drängte und Cunomar an die andere, dessen Schweißbäche ihr zudem stetig über den Arm rannen -, Airmids streng riechenden Rauch einzuatmen, um die sich nähernden Toten besser erkennen zu können.
    Doch die Nacht blieb leer. Keiner ihrer Toten erschien. Weder schritt Caradoc auf sie zu, noch hatte sich irgendeiner der Ahnen von dem Torques um ihren Hals anlocken lassen. Wie ein Tunnel erstreckte sich die Finsternis vor ihr, durchdrungen nur von den flachen, gepresst klingenden Atemzügen jener, denen bereits ihr persönlicher Besuch aus dem Land jenseits des Lebens erschienen war. In diesem Dunkel hörte sie plötzlich jemanden fragen: »Eneit?« Breaca dachte erst, es wäre Lanis gewesen, bis Cunomar neben ihr erschauerte und sie entdeckte, dass er weinte. Sie war froh darum, dass er weinen konnte.
    Ansonsten sprach niemand, weder Mensch noch Einst-Mensch, und nach einer Weile flammte das Feuer wieder auf. Auf ein Signal hin, das zwar nicht gehört, wohl aber gefühlt wurde, entsorgte Cunomar die Holzkohlen des letztjährigen Feuers, und Graine, als die Jüngste der Anwesenden, legte den Zunder für das neue Feuer in die steinerne Bodenkuhle. Airmid schlug zwei Feuersteine aneinander, so dass ein Funken aufblitzte, und fachte diesen an, bis die Flammen die abgeschälte Borke fraßen und das getrocknete Gras und die Stränge aus der Wolle eines Mutterschafs sowie ein Büschel Schweifhaare der Zuchtstuten, die eine Opfergabe an Briga darstellten und mit der die Menschen um zahlreiche und komplikationslose Geburten baten.
    Frauen, die schwanger waren oder die in dieser Nacht ein Kind empfangen wollten, beugten sich vor und legten drei ihrer eigenen Haare in das Feuer. Die Männer, die sich wünschten, der Vater eines dieser Kinder zu werden, schnitten sich ein Stückchen Nagel vom Daumen jeder Hand ab, die sie anschließend ebenfalls in die Flammen legten, verbunden mit dem Wunsch, dass ihr Samen gesunde Kinder zeugen möge. Und es wurden viele solcher Nagelpaare abgegeben; ein Kind, das in der Nacht zwischen den Jahren empfangen wurde, galt als besonders gesegnet. Geboren in der auf den Hochsommer folgenden Zeit, wenn die Ernte bereits eingebracht wäre, würde es zunächst keinerlei Entbehrungen leiden müssen, zumindest nicht bis zum Winter, wenn alle gleichermaßen darben mussten - oder auch nicht, wenn das kommende Jahr jene Entwicklung nahm, die Breaca für es vorgesehen hatte.
    »Wer weiß, am Ende des nächsten Jahres sind wir von Rom und allem, was damit einhergeht, vielleicht schon wieder befreit«, sagte Airmid und sprach damit jedermanns Gedanken aus.
    Kurz danach brachen die Versammlungsmitglieder auf. Sie nahmen brennende Fackeln aus Weißdornknütteln mit, die sie zuvor in Schafsfett getaucht hatten, sowie Späne aus Eichenrinde und einige getrocknete Ebereschenblätter, mit denen sie ihre eigenen Feuer entzünden und diese bis zur nächsten Jahreswende nicht mehr verlöschen lassen wollten.
     
    Nur Breaca blieb noch zurück. Sie bedeckte das Feuer mit Asche, damit es bis zum nächsten Morgen weiterschwelte, und rief Stone herein, der draußen hatte bleiben müssen aus Sorge, dass die Toten in seiner Gegenwart nicht erscheinen würden.
    Dann kehrte Airmid mit den Wasserbehältern zurück, und schließlich trugen sie und Breaca gemeinsam die Ansammlung von Krügen, Bechern und versiegelten Töpfen voller Heilkräuter und Beeren wieder herein, die nach draußen geschafft worden waren, um den Bärinnenkriegern ein wenig mehr Platz zu bieten.
    Im Schein des Feuers saßen sie noch eine Weile beisammen. Ein Nachgeschmack des Traumrauchs würzte die Luft. Sparsam legte Airmid einige weitere Blätter in die Glut; Rosmarin, Salbei und scharfe Minze, so dass die Gerüche eine etwas frischere Note annahmen und die Mauern zwischen den Welten wieder ein wenig gefestigter schienen. Sie trug ihre Kette aus versilberten Froschknochen, die bereits älter war als Cunomar, älter als Cygfa, sogar noch älter als die Anwesenheit Roms. Dünne Rauchkräusel schlängelten sich um die Kette und um sie selbst, so dass Airmid ebenso gut wieder ein junges Mädchen hätte sein

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