Die Seherin der Kelten
Weile ertönte aus der Dunkelheit heraus Airmids Stimme: »Danke.«
Plötzlich waren sie so schüchtern wie zwei Kinder; so schüchtern, wie sie selbst in ihrer Kindheit nicht miteinander umgegangen waren. Beide schürten sie das Feuer und legten etwas Holz nach, verlagerten die aufgeschichteten Scheite ein bisschen, so dass die Flammen zwar mehr Brennholz fraßen, aber doch weniger hell brannten.
Schließlich, weil sie einfach etwas sagen musste, hob Breaca an: »Cygfa schläft noch immer allein. Außerdem hatte ich gedacht, dass Braint vielleicht getötet worden wäre und dass sie zu Cygfa kommen würde, so wie Eneit zu Cunomar gekommen ist, doch es kam niemand.«
»Cygfa trägt ihre Wunden noch tiefer verborgen als ihr Bruder«, entgegnete Airmid. »Dubornos dagegen lebt seine Qualen ganz offen, und die größte von ihnen rührt daher, dass er Cygfa liebt, sie seine Liebe aber nicht erwidert. Damals in Rom lebten sie eng zusammen, und sie empfindet für ihn genauso, wie sie für Cunomar empfindet. Ich denke, sie will Dubornos einfach nicht noch ärger verletzen und lebt darum weiterhin keusch.«
»Und trotzdem, wenn sie einen anderen liebte, würde sie doch bestimmt eine Lösung finden, um Dubornos keine noch tieferen Schmerzen damit zuzufügen. Das allein dürfte sie also nicht davon abhalten.«
»Ich weiß, aber sie erlaubt es sich einfach nicht zu lieben - wohingegen Cunomar bereits ganz verzweifelt auf der Suche nach der Liebe ist und nur noch nach jemandem Ausschau hält, der zu ihm passt. Cygfa leidet einfach, tief in ihrem Inneren, und sie sucht niemanden, weil sie meint, sie besäße die Stärke, darüber zu stehen.«
»Könntest du sie nicht heilen?«
Airmid verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Nur, wenn sie mich darum bitten würde, aber das wird sie nicht. Während unserer Zeit auf Mona habe ich einmal versucht, mit ihr zu sprechen, als du Jagd auf die Legionssoldaten machtest und Cygfa und ich allein waren. Doch damals lief sie vor mir davon, und seitdem habe ich es nicht wieder versucht. Ihr Schmerz gehört allein ihr. Sie muss ihn auf ihre eigene Art heilen. So, wie auch unser Schmerz nur uns gehört.«
Solch eine triviale Bemerkung, und doch vermochte sie eine ganze Welt zu öffnen. Der Puls unter Breacas Hand blieb gleichmäßig, und der Klettenabsud hatte das Durcheinander des vergangenen Tages aus ihrem Kopf gefegt, vielleicht auch das Chaos des gesamten Jahres oder sogar noch ältere Gedanken. Für eine einzige Nacht - für diese Nacht - musste sie einmal nicht wach liegen und im Geiste bereits die Zukunft entwerfen. Breaca goss ein wenig von dem Schneewasser in ihre hohle Hand und wusch sich damit das Gesicht, dann setzte sie den Becher ab, sorgsam darauf bedacht, ihn nicht zu dicht an das Feuer zu stellen.
Sie sprach langsam, bahnte sich behutsam einen Weg zwischen den Wortklippen in ihrem Kopf hindurch: »Dass ich die vergangenen Jahre allein geschlafen habe, hatte nichts damit zu tun, dass ich vermeiden wollte, Tagos’ Gefühle zu verletzen. Sondern es war Caradocs wegen.«
»Ich weiß.«
»Und du wiederum hast Gwyddhiens wegen allein geschlafen.«
»Ja.«
In den gesamten drei Jahren, die seit Gwyddhiens Tod vergangen waren, hatten sie noch nie über dieses Thema gesprochen. Breaca schob ein Holzscheit etwas tiefer in das Feuer hinein. Im Schein der neu aufzüngelnden Flammen fragte sie: »Erwartet sie das denn noch immer von dir?«
»Im Gegenteil, sie hat es überhaupt nie von mir erwartet. So wie ich mir sicher bin, dass auch Caradoc dies niemals von dir erwarten würde.«
Airmids Augen schienen absolut schwarz. Forschend glitt ihr Blick über Breacas Gesicht. »Es braucht seine Zeit, den Schmerz des Verlusts zu heilen«, fuhr sie fort, »und dann braucht es seine Zeit, die Erinnerung an den Schmerz zu heilen sowie den Irrglauben, dass die Ehre von uns verlangte, diesen Schmerz auf immer zu bewahren. Und dann braucht es wiederum Zeit, um festzustellen, dass wir die geliebten Menschen unserer Vergangenheit auch weiterhin lieben können, dass etwas Neues - oder etwas Altes, das wieder zusammenfindet - den Wert dieser früheren Liebe keinesfalls herabsetzt. Und obwohl wir wissen, dass all dies für andere zweifellos wahr ist, obwohl wir all diese Entwicklungen in den anderen deutlich erkennen und am liebsten täglich mit ihnen darüber sprechen würden, so ist es doch ungleich schwerer, diese Chance auch in uns selbst zu entdecken.«
Nun waren sie zu weit vorgedrungen, als
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