Die Seherin der Kelten
eine Brosche in Form des Keilers, dem Zeichen der Dumnonii, die im fernen Südwesten gegen die Römer kämpften und die diesen Kampf mit all der Hartnäckigkeit und Wildheit jenes Tieres führten, welches sie zu ihrem Stammessymbol auserkoren hatten.
Zählte man alle diese Einzelheiten zusammen, so ergaben sie einen Namen, und zwar so klar und eindeutig, als ob er laut ausgesprochen worden wäre. Graine spürte, wie sie vor Verlegenheit rot wurde. Geradezu schmachvoll spät entbot sie der Frau den Gruß, mit dem ein Träumerlehrling einen älteren Träumer von großer Macht begrüßte, und sagte: »Herzlich willkommen, Gunovar, Tochter von Gunovic, der in der Invasionsschlacht sein Leben für Macha opferte.«
Der Rest dessen, was sie über die Frau wusste, lief stumm in ihrem Kopf ab, ließ sich aber ganz zweifellos an ihrem Gesicht ablesen, und sie fuhr fort: »Du warst eine der führenden Träumerinnen deines Volkes, bis du den Legionen in die Hände fielst und vier Tage in der Gewalt ihrer Inquisitoren aushalten musstest. Deine Krieger stürmten die Festung, um dich zu befreien, doch die Hälfte von ihnen verlor bei dem Kampf ihr Leben. Die Lieder, in denen diese Ereignisse besungen werden, sind mittlerweile auch uns zu Ohren gekommen, nicht aber die Geschichten darüber, welche Maßnahmen die Legionen danach ergriffen haben oder wie du nun, da dein Körper gezeichnet ist, träumst.«
»In der Tat.«
Das Grinsen der Frau war jetzt von Ironie geprägt, die aber nicht etwa Graine galt, sondern ganz nach innen gerichtet war. Es war nicht klar erkennbar, ob sich ihre Antwort auf den förmlichen Gruß bezog, auf die kurze Begrüßungsansprache oder auf all das, was nicht gesagt worden war.
Es fiel einem schwer, ihr ins Gesicht zu blicken, weil man unwillkürlich daran denken musste, wie es wohl vor den schweren Verbrennungen ausgesehen haben mochte; da war es schon sehr viel leichter, ihre Augen zu betrachten, in denen sich der Schmerz und der Humor begegneten und ein jeder von ihnen durch dieses Zusammentreffen sanfter und milder wurde. Denn mit Humor war sie offenbar reich gesegnet. Graine schoss der Gedanke durch den Kopf, dass Ardacos diese Frau sicherlich mögen würde, und das nicht allein wegen ihres ausgesprochen trockenen Witzes.
Gunovar erwiderte nun den Träumergruß mit einiger Eleganz und brachte es fertig, mit einer einzigen Bewegung Graines relative Jugend anzuerkennen und dabei zugleich eine Tiefe und Intensität des Träumens zu würdigen, die der ihren in nichts nachstand.
Sie sprach: »Und du bist Graine, Hasen-Träumerin und Tochter der Bodicea. Es ist mir eine Ehre, dich kennen zu lernen. Könntest du dich bitte um meine Pferde kümmern, während ich mit deiner Mutter spreche? Sie haben mich fast einen ganzen Monat lang treu und brav gezogen, und ich möchte auf keinen Fall, dass sie aus Mangel an Pflege sterben, nachdem sie nun... Ah, da bist du ja endlich! Also, ich muss schon sagen, es wurde auch langsam Zeit. Ich hatte mich schon gefragt, wie lange du wohl noch brauchen würdest, um zu merken, dass du Besuch bekommen hast.«
Nur sehr wenige Menschen wagten es, in diesem Ton mit der Bodicea zu sprechen. Seit sie nach Tagos’ Tod den Torques übernommen hatte, war die Anzahl derer, die sich ihr gegenüber so viel herauszunehmen trauten, sogar noch kleiner geworden. Airmid mochte vielleicht gelegentlich noch so mit Breaca sprechen, wenn die beiden miteinander allein waren, ansonsten jedoch niemand; zumindest nach dem, was Graine wusste. Sie blickte ihre Mutter an, sah, dass diese grinste, und schloss daraus, dass der Ankömmling zu jener seltenen Spezies gehören musste, die man gar nicht hoch genug schätzen konnte: zur Gattung echter Freunde.
»Ach, hast du das? Dann ist das also der Grund, weshalb du dich so überaus vehement bemerkbar gemacht hast.« Breaca hatte unterdessen die Zugpferde erreicht und kraulte sie sanft hinter den Ohren, an jenen Stellen, wo das Geschirr gescheuert hatte. Dann bückte sie sich und ließ ihre Hand prüfend an den Beinen des schweißüberströmten Braunen hinabgleiten, der ihr am nächsten stand.
»Ich finde, meine Tochter hat dich mit wirklich bewundernswerter Höflichkeit empfangen. Aber sie hat eben auch viel zu gute Manieren, um dir zu sagen, dass du ein gutes Pferd zugrunde gerichtet hast und wir wahrscheinlich bis zum Ende des Sommers brauchen werden, um es wieder gesund zu pflegen.«
»Und dir sind die Manieren deiner Tochter offenbar
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